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Mundart und die Romands «Vieles spricht für eine Stärkung des Deutschunterrichts»

Der grüne Waadtländer Kantonsrat David Raedler fühlt sich ohne Mundartkenntnisse in der Deutschschweiz ausgeschlossen und möchte, dass in den Westschweizer Schulen Schweizerdeutsch unterrichtet wird. Das findet die Genfer Linguistikprofessorin Juliane Schröter eine gute Idee.

Juliane Schröter

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Juliane Schröter ist Professorin für deutsche Linguistik an der Universität Genf. Sie hat ein Buch über die Geschichte und die Identität von Schweizerdeutsch verfasst.

SRF News: Können Sie die Forderung von David Raedler, die Westschweizer sollten an der Schule in Deutschschweizer Mundart unterrichtet werden, nachvollziehen?

Juliane Schröter: Auf jeden Fall. Man lernt an den Schulen in der Romandie jahrelang Deutsch – wenn man aber in die Deutschschweiz fährt, versteht man dort kein Wort. Das ist für viele frustrierend.

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Wie könnte man die Forderung konkret umsetzen – mit all den verschiedenen Dialekten und ohne fixe Grammatik?

Zuerst müsste man sicher abklären, ob es bloss ums Verstehen des Schweizerdeutschen geht oder auch ums Sprechen. Zu klären wäre auch, ob es dazu mehr Deutschstunden in der Schule braucht oder als Freiwahlfach angeboten werden sollte.

Schweizerdeutsch sprechen zu lernen, erscheint mir wenig realistisch.

Schweizerdeutsch sprechen zu lernen, erscheint mir wenig realistisch angesichts der vielen Dialekte. Ausserdem sind viele Lehrpersonen in der Romandie für einen solchen Unterricht nicht qualifiziert, weil sie selber keine Deutschschweizer Mundart sprechen.

Passive Schweizerdeutsch-Kenntnisse zu vermitteln, wäre aber möglich?

Bloss mit den jetzigen Deutschstunden an den Schulen ist das wohl schwierig zu machen. Es wäre nötig, das Schweizerdeutsch in freiwilligen Zusatzkursen anzubieten oder die Stundenzahl für den Deutschunterricht generell zu erhöhen.

Wie wichtig ist das Verstehen von Schweizerdeutsch, um auf dem Schweizer Arbeitsmarkt bestehen zu können?

Laut dem Bundesamt für Statistik sprechen in der Schweiz 62 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Schweizerdeutsch, aber nur 33 Prozent Hochdeutsch. Man kann aber wohl annehmen, dass auch die hier als Schweizerdeutsch sprechend gezählten Personen Standarddeutsch verstehen und es auch zum Schreiben benutzen.

Solides Deutsch ist auf dem Schweizer Arbeitsmarkt von sehr grosser Bedeutung.

Klar ist: Solides Deutsch ist auf dem Schweizer Arbeitsmarkt von sehr grosser Bedeutung. Auch ist Deutsch die verbreitetste Muttersprache in der EU, weltweit ist Deutsch wirtschaftlich gesehen die fünftwichtigste Sprache. Das alles spricht für eine grundsätzliche Stärkung des Deutschunterrichts in der Romandie.

Aber das grundsätzliche Problem bleibt: Wer Schweizerdeutsch nicht versteht, bleibt im informellen Bereich in der Deutschschweiz ausgeschlossen.

Aus persönlicher Erfahrung und Berichten – Studien dazu gibt es kaum – würde ich sagen, dass in Gruppen, in denen mehrere Personen Schweizerdeutsch sprechen und einige wenige es nicht verstehen, in informellen Situationen die Tendenz besteht, Mundart zu verwenden oder wieder in Mundart zurückzufallen. Das lässt sich wohl so erklären, dass in solchen Gruppen kleinere Grüppchen miteinander sprechen und die Zusammensetzungen dieser Grüppchen auch ständig wechselt.

Welche Bedeutung haben denn französische Dialekte in der Romandie?

Das ursprüngliche Patois hat praktisch keine Bedeutung mehr. Die Situation ist also ganz anders als in der Deutschschweiz. Entsprechend sind die Deutschschweizer Dialekte für die Romands kein wichtiger Bestandteil für eine Schweizer Identität. Sie sind vielmehr ein Kommunikationshindernis.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 12.4.2023, 18:00 Uhr ; 

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