Bei der Aufarbeitung der gewalttätigen Ausschreitungen an der Palästina-Demonstration in Bern vom Samstag zeigt sich: Es fehlt ein Überblick über Gruppen, die sich an solchen Aktionen beteiligen.
Die Szene wird noch zu wenig genau beobachtet. Wenn man mehr wissen will, braucht es dafür mehr Ressourcen.
Über die linksextreme Szene in der Schweiz sei wenig bekannt, sagt Dirk Baier, Professor für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW: «Die Szene wird noch zu wenig genau beobachtet. Wenn man mehr wissen will, braucht es dafür mehr Ressourcen.» Er nennt dabei die Prävention in Schulen und sozialen Medien.
Man muss diese Szene auch mit präventiven Massnahmen und auch durch den NDB überwachen können.
Politische Stimmen, die nun ein härteres Durchgreifen verlangen, denken bei Prävention aber eher an mehr Überwachung der gewaltbereiten Szene. So äusserten sich etwa der Sicherheitsdirektor des Kantons Bern, Philippe Müller von der FDP, und Reto Nause, Mitte-Nationalrat.
«Man muss diese Szene auch mit präventiven Massnahmen und auch durch den Nachrichtendienst des Bundes überwachen können», sagte Nause.
Revidiertes Gesetz für mehr Lauschkompetenz
Noch dieses Jahr will das Verteidigungsdepartement das überarbeitete Nachrichtendienstgesetz vorlegen. Damit soll der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) neben Terror und Spionage künftig auch gewalttätigen Extremismus besser unter die Lupe nehmen können, also Telefone anzapfen oder Räume verwanzen. Dabei geht es um Extremismus, der politisch – sowohl von links als auch von rechts – oder religiös motiviert ist.
Der NDB schreibt: «Es geht darum, Akteure und Strukturen zu identifizieren, Vernetzungen zu analysieren und Planungen frühzeitig zu erkennen, um den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse für präventive Massnahmen zu liefern.»
In Bezug auf die Ausschreitungen schreibt der NDB: «Fakt ist, dass der Nachrichtendienst des Bundes bereits im Vorfeld der Ereignisse im regelmässigen Austausch mit den Kantonspolizeien stand und zur Lagebeurteilung beigetragen hat.»
Skepsis bei SP und Grünen bleibt
In der Vernehmlassung des Gesetzes vor drei Jahren begrüssten die bürgerlichen Parteien die neuen Möglichkeiten. Die linken Parteien äusserten sich skeptisch bis ablehnend.
Heute sagte Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone: «Diese Revision ist gefährlich bezüglich Rechtsstaat und Grundrechte. Es gibt eigentlich keinen Zusammenhang mit der zu verurteilenden Gewalt vom letzten Samstag in Bern.» Es sei wohl eher um die Einsatztaktik der Polizei als um nachrichtendienstliche Arbeit gegangen.
Es gibt wenig Hinweise darauf, dass zusätzliche Überwachungsmittel vom NDB geeignet wären.
SP-Mediensprecher Nicolas Haesler betont, die SP verurteile die Gewalt und der NDB müsse sich ans Gesetz halten. Er unterstreicht: «Es gibt mit Blick auf andere europäische Staaten oder etwa auf Gewalt im Sport wenig Hinweise darauf, dass zusätzliche Überwachungsmittel des Nachrichtendienstes geeignet wären, extremistische Ausschreitungen wirksam zu verhindern.»
Nachrichtendienstliche Arbeit bedeutet den Blick darunter.
Die Ereignisse in Bern zeigten, worauf der NDB seit längerem auch öffentlich hinweise, schreibt der NDB. So sei in gewalttätig-extremistischen Kreisen ein grosses Gewaltpotenzial vorhanden. Öffentliche Mobilisierungsaufrufe und Social-Media-Posts zeigten nur die Oberfläche, nachrichtendienstliche Arbeit bedeute den Blick darunter.
Das ist Zukunftsmusik und dürfte noch die eine oder andere hitzige Debatte im Parlament auslösen. Die Aufsicht des NDB stellte kürzlich fest, dass dieser seine Mittel gegen den gewalttätigen Extremismus von links nicht ausschöpfe. Zu wenig Personal, zu wenig Mittel und Sicherheitsfragen stehen im Weg.