Alessandra Dal Bosco ist entsetzt. Vor wenigen Wochen flatterte ihr die Kündigung der Vermieterin Zurich Versicherung ins Haus. Die alleinstehende Mutter, 80-Prozent-Angestellte auf der Gemeinde, weiss nicht, wohin.
In Langnau am Albis, wo sie ihre Kinder grosszieht, «kann ich mir nichts leisten», sagt sie. Eigentlich war es anders geplant: ein behutsamer Umbau der Siedlung, sozialverträglich, in Etappen. Doch plötzlich: Leerkündigung. Alles raus, alles neu.
Dal Bosco ist kein Einzelfall. Rund 30'000 Menschen in der Schweiz trifft jedes Jahr eine Leerkündigung, wie Zahlen der ZKB zeigen. Besonders hart die Stadt Zürich: wenig Platz, hohe Nachfrage, explodierende Preise. Im «Club» treffen Politik und Betroffene aufeinander, um über Lösungen zu sprechen – und über die Tücken, die in jeder Lösung stecken.
Vorbild Basel?
Ein Blick nach Basel-Stadt: Dort hat man Leerkündigungen quasi per Gesetz verboten. Das Resultat: Wo früher Hunderte ausziehen mussten, ist die Zahl fast auf null gesunken.
Doch die Kritiker sind laut. «In Basel wird viel zu wenig saniert», sagt HEV-Direktor Markus Meier. Handwerker würden aufs Land verdrängt, weil die Stadt keine Aufträge mehr vergebe. Unternehmer Günther Kleiber nickt. Eva Herzog, SP-Ständerätin, widerspricht gelassen: Das Gesetz sei noch jung, solche Effekte liessen sich nicht seriös messen.
Bauen, bauen, bauen
FDP-Nationalrat Beat Walti betont, dass Sanierungen nicht nur renditegetrieben seien. Oft rentieren alte Bestände sogar besser, weil sie längst abgeschrieben sind.» Sein Rezept gegen die Wohnungsnot? Bauen. Nur mehr Angebot könne die hohe Nachfrage stillen. Genossenschaftler Ivo Balmer hält dagegen. Er erinnert an die Zeit, als die Zinsen im Keller waren und die Kräne überall schwangen. «Wir hatten so viel Neubau wie seit Jahren nicht mehr. Aber sind die Mieten gesunken?» Nein. Für ihn ist klar: Bauen allein ist keine Lösung.
Auch Herzog setzt auf Neubau, aber genossenschaftlich. «Der Markt funktioniert nicht», sagt sie trocken. Ihr Vorschlag: Ein Drittel aller neuen Wohnungen soll gemeinnützig sein.
Ein Wohlstandsphänomen
Walti verweist auf die gesellschaftliche Dynamik: In den letzten 15 Jahren sei die Wohnraumnachfrage um 35 Prozent gestiegen. Mehr Menschen, mehr Quadratmeter pro Kopf, mehr Singlehaushalte. «Das ist auch Wohlstand», sagt er. Die Schweizerinnen und Schweizer wollten grosszügig wohnen. Von einem «Wilden Westen» des Wohnungsmarkts könne keine Rede sein. «Es gibt genug Regeln.»
Juristin Sarah Brutschin widerspricht: Die Schweiz habe 2020 – seit Mitte der 80er-Jahre – die zweithöchste Leerstandsquote verzeichnet. Normalerweise drückt ein so grosses Angebot die Preise. Doch die Mieten seien trotzdem nicht gesunken, obwohl zusätzlich auch der Referenzzinssatz gefallen sei.
Fest steht: Wer eine Wohnung suchen muss, sieht sich oft mit hohen Preisen und knappem Angebot konfrontiert. Wie Alessandra Dal Bosco, die nicht weiss, wo sie wieder eine bezahlbare Wohnung findet.