Es wird zu wenig gebaut, das treibt die Mieten weiter in die Höhe. Welche Rolle dabei die Raumplanung spielt, weiss der schweizerisch-belgische Wirtschaftsgeograf und Architektursoziologe Joris Van Wezemael.
SRF News: Warum steigen die Mieten weltweit an?
Joris Van Wezemael: Wir erleben eine Renaissance der Urbanisierung, ähnlich wie zur Zeit der Industrialisierung. Damals konnten die Arbeiter nicht pendeln, also zogen sie in die Nähe der Fabriken.
Wenn wir so wenig Wohnraum verbrauchten wie in den 80er-Jahren, hätten wir quantitativ kein Wohnraumproblem.
Heute wohnen immer mehr Leute in Städten, weil sich dort die gut bezahlten Dienstleistungsjobs konzentrieren. Rund um diese Jobs gibt es Kulturangebote, gute Restaurants und Dienstleistungen. Das hat in den letzten Jahren zu einer Veränderung des Lifestyles geführt. Prestigeobjekt ist inzwischen nicht mehr das Einfamilienhaus auf dem Land, sondern Wohnen in Manhattan – oder im Zentrum Zürichs oder Genfs.
Es ist also hip geworden, in der Stadt zu wohnen. Aber warum kommt der Wohnungsbau nicht hinterher, was läuft in der Schweiz schief?
Es sind mehrere Gründe. Wenn wir so wenig Wohnraum verbrauchen würden wie in den 80er-Jahren, hätten wir quantitativ kein Wohnraumproblem.
Das zweite Problem liegt im Schweizer Mietrecht: Dieses schützt Mieter gut vor Preiserhöhungen. Der Markt neu angebotener Wohnungen hingegen ist völlig liberal. Deshalb geht eine grosse Schere auf: Wer lange in einer Wohnung bleibt, wohnt günstig. Wer hingegen eine neue Wohnung braucht – weil er bei den Eltern auszieht, ein Baby bekommt oder zuzieht –, muss absurd hohe Preise zahlen.
Das führt dazu, dass Leute auf viel zu grossen Flächen wohnen, obwohl sie diese nicht brauchen, einfach weil es dumm wäre, die Wohnung herzugeben. Wir müssten also über das Mietrecht reden – und das andere ist die Raumplanung.
Inwiefern führt denn die Raumplanung dazu, dass weniger Wohnraum geschaffen wird?
Früher haben wir das Problem der wachsenden Nachfrage gelöst, indem wir einfach immer mehr eingezont haben. So haben wir in den letzten 50 bis 70 Jahren das ganze Mittelland und viele Täler zersiedelt.
Eine Revision des Raumplanungsgesetzes hat das gestoppt, nun muss in bestehenden Siedlungen gebaut werden. Doch dadurch wird die Nachfrage nicht automatisch kleiner – im Gegenteil! Und das haben alle gewusst, aber man hat dem nicht Rechnung getragen.
Zum Beispiel?
Man hat es verpasst, mit Mindestdichten zu arbeiten. Auch hat man es verpasst, die Bauverfahren zu vereinfachen, sie sind im Gegenteil komplizierter geworden: Der Lärmschutz ist verschärft worden, und es gibt immer mehr Vorschriften für Klimaschutz und Baukultur. Das ist für sich gesehen richtig. Aber in der Masse führt es dazu, dass das Bauen erschwert wird. Ich kenne Leute, die wegen der politischen Unwägbarkeiten und Verfahrensrisiken nicht in Zürich investieren. Es ist einfacher, in der Nähe von Suhr zu bauen als in Zürich.
Was könnte man tun?
Wir sollten die Verfahren radikal vereinfachen und Bürokratie abbauen. Ich verstehe nicht, warum ein Nachbar Einsprache erheben darf gegen meine Heizung - solange ich das Energiegesetz einhalte. Man könnte auch Wohnen in Zonen zulassen, in denen es heute nicht erlaubt ist.
Tokio kennt im Vergleich zu europäischen Städten fast kein Wohnungsproblem. Das liegt daran, dass die Japanerinnen und Japaner kein Problem damit haben, wenn direkt neben einem Einfamilienhäuschen ein Hochhaus steht. Für Schweizer Architekten ist das unvorstellbar. Doch wenn Schweizerinnen und Schweizer nach Tokio reisen, empfinden sie die Stadt als wahnsinnig spannend.
Das Gespräch führte Sibilla Bondolfi.