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Nachrichtenlose Vermögen Brisante Aktennotiz: US-Geheimdienst hörte Bundesratsgespräche ab

Im Streit um die Holocaust-Gelder stand die Schweiz unter Druck. Jetzt zeigen Recherchen von SRF: Schweizer Vertreter wurden vom US-Geheimdienst abgehört.

1.25 Milliarden Dollar zahlten Schweizer Banken, um den Streit um nachrichtenlose Vermögen in den USA zu beenden. Jetzt zeigt ein brisantes Dokument, das «10vor10» zugespielt wurde, dass damals der US-Geheimdienst mithörte. Es handelt sich um eine Aktennotiz vom Mai 1998. Diese richtete sich an den damaligen Aussenminister Flavio Cotti, der kürzlich verstorben ist, an Botschafter Alfred Defago in Washington und an Thomas Borer, damals Chef der Task Force «Schweiz – Zweiter Weltkrieg».

Blankarts brisante Aktennotiz

Verfasser des Schreibens war der kürzlich ebenfalls verstorbene Staatssekretär Franz Blankart. Blankart schrieb aufgrund von Angaben eines Gewährsmanns, eines Beamten im amerikanischen Aussenministerium: «Die Telefongespräche Cotti/Defago werden allesamt abgehört und ausgewertet.» Der US-Geheimdienst wusste demgemäss Bescheid über Gespräche auf höchster Ebene.

Der ehemalige Botschafter Thomas Borer sagt im Gespräch mit «10vor10», er könne sich an die Aktennotiz erinnern. Der Schweizer Geheimdienst, aber auch er selbst, habe die Verantwortlichen mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass fremde Geheimdienste die Schweizer Seite abhören würden. «Leider hat es einige Protagonisten gegeben, die nicht so auf das gehört haben und weiter fleissig am Telefon Gespräche geführt haben.»

Diese Kritik weist Alfred Defago, damals Schweizer Botschafter in den USA, zurück. Er sei sich der Abhör-Gefahr bewusst gewesen und habe sich entsprechend vorsichtig verhalten. In der heissen Phase des Konflikts, vom April 1997 bis August 1998, sei er 9-mal in die Schweiz gereist, um heikle Themen nicht am Telefon besprechen zu müssen. «Das ist ein Zeichen, dass ich solche Abhöraktionen vermeiden wollte.»

Keine Überraschung für Experten

Den Schweizer Historiker Adrian Hänni, der die Geschichte der Nachrichtendienste erforscht, überrascht es nicht, dass amerikanische Geheimdienste damals die Schweizer ausspionierten: «Geheimdienste werden in internationalen Verhandlungen häufig eingesetzt, um Positionen der Gegenseite aufzuklären.» Schon bei den Verhandlungen um das Washingtoner Abkommen 1946 sei die Schweizer Seite abgehört worden, sagt der Experte.

Stuart Eizenstat, damals im US-Aussenministerium verantwortlich für die Verhandlungen mit der Schweiz, erklärt im Gespräch mit SRF zur Aktennotiz von Blankart: «Es gibt Geheimdienstoperationen von allen Regierungen, auch von der US-Regierung. Ich kann keine Einzelheiten offenlegen. Ich kann nur sagen, dass ich keine Informationen in Bezug auf Gespräche zwischen Herrn Cotti und Herrn Defago erhalten habe.»

Kaum einmal in der jüngeren Vergangenheit stand die Schweiz derart im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit wie beim Streit um nachrichtenlose Vermögen. Lange wehrten Schweizer Banken Ansprüche von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus und deren Nachkommen ab, bis sie in den 1990er-Jahren in den USA unter massiven Druck gerieten. Amerikanische Anwälte reichten Sammelklagen in Milliardenhöhe ein.

Wurden auch die Banken abgehört?

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Der Streit um die nachrichtenlosen Vermögen endete im August 1998: Schweizer Banken handelten in Manhattan einen Vergleich aus und verpflichteten sich zu einer Zahlung von 1.25 Milliarden Dollar zugunsten von Holocaust-Überlebenden und deren Nachkommen. Es stellt sich die Frage, ob US-Geheimdienste auch Bankenvertreter abhörten. Die «Rundschau» enthüllte kürzlich, dass in dieser Zeit unsichere Verschlüsselungsgeräte an die UBS verkauft wurden.

Für Thomas Borer, damals Leiter der Task Force, ist es auch deshalb möglich, dass Schweizer Bankenvertreter abgehört wurden. «Man muss davon ausgehen, dass die CEOs und die Verwaltungsratspräsidenten von den drei Grossbanken und die Anwälte auch abgehört worden sind. Es wäre naiv, etwas anderes anzunehmen.»

Ähnlich argumentiert auch der damalige Botschafter Alfred Defago: «Es ist sehr wohl möglich, dass sie abgehört worden sind. Und sie sind sich dem auch bewusst gewesen. Ich habe sie nämlich direkt darauf angesprochen. Und man hat dann mir gesagt: ‹It's under control›.» Die UBS will sich dazu nicht äussern, die CS sagt, dass keine Hinweise vorlägen, dass sie damals abgehört worden sei.

10vor10, 26.01.2021, 21:50 Uhr

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