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Nationaler Gesundheitsbericht «Behandlungen haben zugenommen – nicht psychische Krankheiten»

Gemäss neustem Bericht des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums sind psychische Störungen weitverbreitet. Mitherausgeber und Psychiater Urs Hepp weiss, was darunter fällt.

Urs Hepp

Psychiater

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Urs Hepp ist Professor und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist Mitherausgeber des aktuellen Nationalen Gesundheitsberichts des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums.

SRF News: Fast die Hälfte der Bevölkerung ist mindestens einmal im Leben depressiv oder hat eine Phobie. Das wissen wir aber nur, weil die Betroffenen das selbst freimütig angeben ...

Urs Hepp: Die Ergebnisse stützen sich tatsächlich auf Befragungen. In solchen Interviews und Fragebögen geben die Leute erfahrungsgemäss recht offen Auskunft.

Haben psychische Krankheiten wirklich zugenommen?

In der Schweiz haben wir wenig verlässliche Daten. Zwar scheint die psychische Belastung bei Jungen gestiegen zu sein, wir haben aber keine Hinweise darauf, dass psychische Krankheiten generell zugenommen hätten. Behandlungen hingegen haben in den vergangenen zehn Jahren klar zugenommen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass es mehr psychische Erkrankungen gibt. Sondern: Es gibt mehr Angebote und die Leute gehen eher in die Behandlung. Das ist eigentlich eine positive Entwicklung.

Nationaler Gesundheitsbericht

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Der Nationale Gesundheitsbericht 2025 widmet sich dem Thema psychische Gesundheit. Er kommt zum Schluss, dass es vielen Menschen in der Schweiz zwar gut geht, jedoch psychische Krankheiten weit verbreitet sind. Es ist beispielsweise davon auszugehen, dass 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens einmal an einer Depression erkranken.

Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nahm die psychische Belastung schon Jahre vor Covid-19 zu und verstärkte sich durch die Pandemie zusätzlich.

Verlässliche Daten zur Häufigkeit psychischer Erkrankungen stammen aus älteren, regionalen Erhebungen. Ob diese in der Schweiz zugenommen haben, lässt sich aufgrund fehlender aktueller Studien zur Prävalenz psychischer Störungen nicht sagen.

Quelle: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium

Wie ist es bei schweren psychischen Erkrankungen?

Das ist immer etwas schwierig: Was heisst schwere psychische Erkrankung? In der Forschung meint man damit vor allem Schizophrenien und bipolare Störung. Aufgrund der Behandlungen wissen wir, dass diese Krankheiten in der Schweiz nicht zugenommen haben.

Wir wissen nicht, warum jemand zum Psychiater geht.

Warum gibt es keine klareren Daten?

Wir wissen nur, wie viele Menschen wegen Schizophrenie in einer Klinik waren, nicht aber, warum jemand zum Psychiater geht. In den Gesundheitsbefragungen kann man Depressionen gut erfragen. Aber Schizophrenien sind relativ selten, da ist es schwierig und aufwendig, verlässliche Daten zu erheben.

Frau steht am Fenster
Legende: Die Schweiz erfasst, wie viele Menschen wegen Schizophrenie in einer Klinik behandelt werden. Im ambulanten Bereich jedoch erhebt sie keine Daten. KEYSTONE / DPA / Fabian Sommer

Eine Studie, die nach Fertigstellung des Gesundheitsberichts publiziert wurde, kommt zum Schluss, junge Lernende seien zwar psychisch belastet, aber zufrieden mit der Lehre. Kann man also auch mit einer psychischen Krankheit arbeiten?

Grundsätzlich können die meisten Menschen trotz einer psychischen Krankheit arbeiten. Sonst würde unsere Wirtschaft zusammenbrechen. Viele Lernende haben angegeben, dass sie zwar psychisch belastet sind, aber gerne arbeiten und stolz auf ihre Lehre sind. Arbeiten ist auch eine Ressource. Insofern ist es problematisch, dass viel mehr junge Menschen wegen psychischer Probleme eine IV-Rente bekommen. Man muss schauen, dass sie die Lehre abschliessen können, auch wenn sie psychisch belastet sind.

Suizidprävention ist eine Erfolgsgeschichte.

… weil Arbeit für die psychische Gesundheit wichtig ist?

Ja, wenn man arbeitet, ist man in der Gesellschaft integriert und bekommt Anerkennung. Für das psychische Wohlbefinden ist das gut.

Man könnte meinen, auch Suizide seien ein Indikator für psychische Belastung. Doch Suizide sind erheblich zurückgegangen.

Ja, das kann man weltweit beobachten – mit wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel den USA. Mehr Menschen nehmen Behandlungen in Anspruch. Und wir haben den Zugang zu Schusswaffen erschwert, Haushaltsgas entgiftet und Prävention bei den Schienen betrieben. Eigentlich ist es eine Erfolgsgeschichte: Die Suizidprävention wirkt.

Psychische Erkrankungen

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Zu den häufig vorkommenden Erkrankungen zählen Depressionen, Angststörungen, Suchtverhalten sowie Persönlichkeitsstörungen.

Seltener, aber ebenfalls recht verbreitet sind Zwangsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Essstörungen.

Eher selten sind «schwere» psychische Erkrankungen wie Schizophrenien, Psychosen und bipolare Störungen. Gemäss internationalen Studien liegt der Anteil schwerer psychischer Erkrankungen überall auf der Welt konstant etwa bei einem Prozent der Bevölkerung.

Quelle: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium

Zurück zum Bericht: Wovon sprechen wir also, wenn wir sagen, fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist einmal im Leben «psychisch krank»?

Eine wichtige Botschaft des Berichts ist: Psychische Erkrankungen betreffen nicht den Rand der Gesellschaft, sondern uns alle. Sie sind ein gesellschaftliches Problem, das uns alle betrifft und mit dem wir einen Umgang finden müssen.

Das Gespräch führte Sibilla Bondolfi.

Suizidgedanken? Hier finden Sie Hilfe

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Erwachsene: Dargebotene Hand/Sorgentelefon

  • Telefon (rund um die Uhr): 143
  • Mail und Chat: www.143.ch

Kinder und Jugendliche: Pro Juventute

  • Telefon (rund um die Uhr): 147
  • Mail und Whatsapp: www.147.ch

Weitere Informationen

Rendezvous, 4.9.2025, 12:30 Uhr ; 

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