Die Schweiz tat sich immer schwer, internationalen Organisationen beizutreten. Wenn sie aber dabei war, entpuppte sie sich als Musterschülerin. Neuerdings zeigt sie sich auf der Weltbühne eher renitent. Die Weigerung, dem UNO-Migrationspakt beizutreten , ist bloss das jüngste Beispiel.
Irritationen bei alt Bundesrat
Alt Bundesrat Joseph Deiss ist besorgt. Er, der als Aussenminister die Schweiz in die UNO führte, hat Mühe mit jüngsten aussenpolitischen Entscheidungen, wie er gegenüber der Zeitung «Le Temps» kundtat. Etwa damit, dass der Nationalrat die Beiträge ans UNO-Palästinenserhilfswerk UNRWA ganz und dauerhaft streichen will.
Irritiert ist Deiss auch, weil die politische Rechte keineswegs mit Stolz darauf reagierte, sondern mit Kritik, ja Häme, als Bundesbern mit dem Bürgenstockgipfel ausnahmsweise beherzt auftrat.
Widerspenstigkeit als Erfolgsmodell
Auch im Europarat mag die Schweiz nicht länger Musterschülerin sein. Die Antwort des Bundesrats an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen des Klimaseniorinnen-Urteils fiel schroff aus. Natürlich ist dieses Urteil umstritten – gleichwohl hätte man den Ball auch flacher halten können.
Beim UNO-Migrationspakt wiederum bekräftigt nun der Ständerat die Haltung, abseits zu bleiben – obschon die Schweizer Diplomatie beim Zustandekommen des Pakts eine Schlüsselrolle spielte. Chancenlos ist auch ein Beitritt zum UNO-Atombombenverbot, obschon das IKRK sehr dafür wirbt, und die Rolle der Schweiz als Hüterin der Genfer Konventionen das nahe legen würde. Und obschon der neutrale Nachbar Österreich diesen Schritt längst getan hat.
Woran liegt es, dass sich die Schweiz schwertut und zunehmend sperrig wirkt? Eine Rolle spielt, dass sich auch andere Länder öfter erlauben, auf Konfrontationskurs zu gehen zu internationalen Organisationen und auf Distanz zu multilateralen Abkommen. In der EU etwa nimmt sich Ungarn enorm viel heraus. In der Nato ist es die Türkei. Und: Beide kommen damit durch. Mancherorts, auch hierzulande, verschafft das Respekt. Widerspenstigkeit gilt als Erfolgsmodell. Mit Engagement für Multilateralismus hingegen sind politisch keine Lorbeeren und vor allem keine Wählerstimmen zu holen.
UNO in der Krise
Dazu kommt: Die internationale Zusammenarbeit steckt in der Krise. Länderübergreifende Organisationen, allen voran die UNO und ihre Unterorganisationen, sind angezählt. Gremien wie der UNO-Sicherheitsrat sind blockiert. In zentralen Fragen – Ukrainekrieg, Gazakrieg, atomare Aufrüstung, Klimakrise – bringt die UNO kaum mehr etwas zustande. Das sorgt für Frustration. Das erleichtert es Regierungen, sich um Abkommen, um Pflichten und um Urteile internationaler Gerichte zu foutieren.
Schliesslich hat derzeit vielerorts die politische Rechte, häufig eine populistische Rechte, Oberwasser. Sie gehörte noch nie zu den Fürsprechern internationaler Zusammenarbeit. Auftrieb haben stattdessen Nationalismus und Egoismus. Mit Appellen zu weltweiter Solidarität ist aktuell kein Blumentopf zu gewinnen. Eine Aussenpolitik, die auf Werten basiert und auf dem Völkerrecht, ist wenig gefragt.
Das gilt längst nicht nur für die Schweiz. Sie ist dieses Mal alles andere als ein Sonderfall. Für einen kleinen, weltweit vernetzten Staat ist das jedoch keine gute Entwicklung. Die Schweiz profitiert von einer Weltordnung, die auf Kooperation basiert und nicht auf Isolation und Protektionismus. Auf Recht und nicht auf Macht.