Der Kunde ist König, sagt der Volksmund. Er hat die freie Wahl und Anbieter müssen sich um ihn bemühen. Dieser Grundsatz des freien Marktes gilt vielerorts – aber bislang nicht für Schweizer Haushalte und kleine Unternehmen im Strombereich. Für sie gilt: Fixe Anbieter liefern zu definierten Konditionen. Und ohne Konkurrenz.
Mit dem neuen EU-Vertragspaket hat die Schweiz auch ein Strommarktabkommen ausgehandelt. Es garantiert der Schweiz Zugang zum europäischen Strommarkt und damit mehr Versorgungssicherheit. Bedingung dafür war, dass die Schweiz ihren Strommarkt ebenfalls öffnet. Private sollen also künftig wählen können, bei wem sie den Strom zu welchen Bedingungen einkaufen.
Flankierende Massnahmen sollen freien Markt abfedern
Im besten Fall entlastet der Markt das Portemonnaie. Sorgen bereiten aber starke Preisausschläge, wie sie nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zu beobachten waren. Denn wer vom tendenziell günstigeren Markttarif profitieren will, trägt auch das höhere Risiko.
Mit einer Vielzahl von Begleitmassnahmen will der Bundesrat deshalb die Folgen des freien Strommarktes abfedern. Wer will, darf auch künftig in der Grundversorgung bleiben, mit garantierten Preisen. Wer am freien Markt schnuppern möchte, kann dies tun – und nach Bezahlung einer Unkostengebühr wieder in den geschützten Markt zurückkehren. Die Krone wird den Stromkundinnen und -kunden also sehr sanft aufgesetzt.
Betreute Entlassung in den freien Strommarkt
Ähnlich wie bei den Krankenkassenprämien will der Bund in Zukunft ein Vergleichsportal betreiben, damit das beste Angebot auch gefunden wird. Es soll eine Ombudsstelle für unzufriedene Kundschaft geben. Und ausländische Konzerne müssen einen Schweizer Kundendienst betreiben. Der Bundesrat will also nicht nur eine freiwillige, sondern auch eine gut betreute Entlassung der Schweizer Kundschaft in den freien europäischen Strommarkt.
Er hat zudem bereits früher klargemacht, dass auch dieses Stromabkommen freiwillig sein soll. Indem der Bundesrat vorschlägt, die neuen Verträge getrennt vom Update zu den bestehenden Bilateralen zur Abstimmung zu bringen, will er verhindern, dass der freie Strommarkt das EU-Vertragspaket als Ganzes gefährdet.
Bundesrat Albert Rösti stellte vor den Bundeshaus-Journalistinnen und -Journalisten indes klar: Die Alternative zum Stromabkommen wären höhere Ausgaben für die Stromversorgungssicherheit im Inland, etwa für zusätzliche thermische Reservekraftwerke.
Vorbehalte bei Gewerkschaften und Bergkantonen
Der Öffnung kritisch gegenüber stehen Teile der Gewerkschaften. Sie befürchten Druck auf die Arbeitsplätze, etwa weil kleine lokale Versorger aufgrund der europäischen Konkurrenz unter Druck kommen könnten, mitsamt ihren Angestellten. Der Bundesrat verspricht für diesen Fall Gegenmassnahmen.
Und auch in den Bergkantonen dürften noch nicht alle Vorbehalte ausgeräumt worden sein. Die Standortkantone der grossen Wasserkraftwerke profitierten bislang davon, dass sie nach Ablauf der Konzessionen für Kraftwerke in den Besitz der Anlagen kamen. Nun fürchten sie, dass dann auch europäische Stromkonzerne Interesse an den Anlagen haben könnten.
Der Bundesrat hat heute erklärt, dass die Neuvergabe der Konzessionen nicht im neuen Vertrag geregelt sei. Das mag den Zugriff europäischer Konzerne vorderhand erschweren. Aber käme es rund um die Konzessionsvergabe zu einem Streit, würde ihn künftig das neu vorgesehene Schiedsgericht klären. Ausgang: offen.