Ihren Claim hatte sie schon. Das Plakat auch – im Entwurf. #KernKompetenz sollte darauf stehen. Darunter der Name Gina Kern und die Botschaft «2mal auf Ihre Liste». Aber Gina Kern steht am 18. Oktober 2020 im Bezirk Baden nicht zu Wahl. Mitten in den Sommerferien teilt sie auf Facebook mit: «Ich werde nach reiflicher Überlegung nicht für den Grossen Rat kandidieren. Von einem hinteren Listenplatz habe ich zu kleine Wahlchancen.»
Tatsächlich hat es ihre Partei nicht gut mit ihr gemeint. Zum Verhängnis werden Kern die klaren, kritisch könnte man auch sagen «die starren», internen Regeln.
Hinter allen Bisherigen und jenen, die die Wahl ins Aargauer Kantonsparlament schon einmal verpasst haben, landet Kern auf dem Listenplatz 21 von 30.
Tatsächlich wäre eine Wahl unter diesen Voraussetzungen fast ein Wunder, hat die FDP in diesem Aargauer Wahlkreis doch nur vier Sitze. Zwar versucht Kern mit einem Antrag an einer virtuellen Parteiversammlung die Spielregeln noch zu ändern, sie bleibt aber ohne Erfolg. Da entscheidet sie sich für den Rückzug.
Listenplatz für Frauen ein grösserer Faktor
Welchen Einfluss der Listenplatz wirklich hat auf eine Wahl, ist umstritten. Politikwissenschafter warnen davor, ihn zu überschätzen. Andererseits zeigte eine Untersuchung zu den eidgenössischen Wahlen 2015, dass gerade die Frauen von guten Listenplätzen profitierten.
Auf jeden Fall haben die kantonalen oder lokalen Partei-Sektionen einen grossen Spielraum bei der Listengestaltung. «Und den nutzen sie auch aus», sagt der Politologe und Wahlexperte Georg Lutz von der Universität Lausanne. «Da gibt es die verschiedensten Modelle und Regeln.»
Nur 31 Prozent Frauen auf den FDP-Listen
Frauenförderung sei dabei unterdessen weit verbreitet. Möglicherweise sei der interne Druck bei der Linken nach wie vor etwas höher, «aber das Bemühen um Frauenkandidaturen ist bis weit in die SVP zu spüren», so Lutz.
Es bleibe aber dabei, dass es nicht einfach sei, Frauen zu einer Kandidatur zu überzeugen, sagt der Politologe. «Nach wie vor zeigen Studien aus dem In- und Ausland übereinstimmend, dass sich Frauen signifikant weniger für institutionelle Politik interessieren und da gehören Parteien und Wahlen dazu.»
Im Aargau, Gina Kerns Heimatkanton, haben die Parteien links der FDP immer noch einen Vorsprung bei der Frauenförderung. Bei den Grossrats-Wahlen finden sich auf den FDP-Listen im Schnitt nur 31 Prozent Frauen. Auf Kerns ehemaliger Liste – sie wurde durch einen Mann ersetzt – sind es sogar nur 25 Prozent. Die SP dagegen führt die Frauenförderungs-Rangliste im Aargau an mit exakt 50 Prozent Frauenanteil.
Auch Bullakaj wieder gescheitert
«Ich finde das schade», sagt der St. Galler SP-Politiker Arber Bullakaj zum Entscheid von Gina Kern. Bullakaj war zusammen mit Kern schon mehrmals Protagonist im SRF-Podcast «Einfach Politik» und verfolgt ihre Karriere seither auf Social Media.
Wer es in der Politik zu etwas bringen wolle, müsse dranbleiben, sich darauf einstellen, dass es auch Rückschläge gebe. Bullakaj weiss wovon er spricht: der 34-jährige hat seinen Wahlkampf dieses Jahr auf Kantonsebene bereits geführt. Anfang Jahr hat er den Sprung ins St. Galler Kantonsparlament knapp verpasst – zum zweiten Mal. Aber ans Aufgeben denkt er nicht.
Bullakajs Ziel bleibt der Nationalrat
Sein Ziel bleibt die Wahl in den Nationalrat. Dafür will er sich mit einem Thema profilieren, das ihm als Secondo mit Wurzeln im Kosovo besonders am Herzen liegt: mit dem Bürgerrecht und dem Einbürgerungsverfahren. «Ich bin mit einer Gruppe von Gleichgesinnten daran, Vorschläge auszuarbeiten. Im Frühling wollen wir damit an die Öffentlichkeit», so der IT-Unternehmer.
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Sich mit einem Thema zu profilieren ist eine bewährte Möglichkeit, eine Politkarriere in Schwung zu bringen. «Der Mechanismus ist eigentlich einfach: Je bekannter jemand ist, desto besser seine Wahlchancen», analysiert Wahlforscher Georg Lutz.
Und um diese Bekanntheit zu erlangen, ist die inhaltliche Profilierung ein möglicher Weg. SP-Parlamentarier wie Cédric Wermuth (1:12-Initiative) oder Tamara Funiciello (99-Prozent-Initiative) sind auch dank ihrem Engagement für Volksbegehren bekannt geworden. Ähnliches gilt für SVP-Mann Lukas Reimann (Minarett-Initiative), Thomas Minder (Abzocker-Initiative) oder den früheren FDP-Präsidenten Philip Müller (18-Prozent-Initiative).
Volksinitiative zu den Bürgerrechten?
Bullakaj schliesst denn auch nicht aus, dass sein Engagement beim Thema Bürgerrechte in die Lancierung einer Volksinitiative münden könnte. Bis zu den nächsten Nationalratswahlen bleiben im drei Jahre. Zeit, in der er mit etwas Glück und ohne weiteres Zutun ins St. Galler Kantonsparlament oder gar in den Nationalrat nachrutschen könnte.
Für beide Parlamente befindet er sich nämlich auf dem ersten Ersatzplatz. Die Parteikollegen, die für ihn den Sessel räumen müssten, sind beide über 60. Mit ihnen das Gespräch suchen, mag er aber nicht. «Das gehört sich nicht», findet Bullakaj. Das wäre, wenn schon, die Sache der Partei.
Vorzeitige Rücktritte von «Sesselklebern» seien parteitaktisch gesehen sehr sinnvoll, sagt Politikwissenschaftler Georg Lutz. Wer nachrutsche, könne bei den nächsten Wahlen als Bisheriger antreten und so für die Partei wertvolle Stimmen holen. Und er ergänzt: «Für die Nachwuchsförderung ist abgesehen davon nicht gut, wenn die Amtsträgerinnen und Amtsträger ihre Sitze zu lange behalten.» Für ambitionierte Parteimitglieder müsse es realistisch sein, in absehbarer Zeit in ein Parlament gewählt zu werden.
Kern bleibt Gemeindepolitikerin
Gina Kern will ihr Nein zum Wahlkampf nicht als Nein zur Politik verstanden wissen. Sie bleibt in ihrer Wohngemeinde Ehrendingen in der Regierung und möchte für dieses Amt auch noch einmal kandidieren. Angesprochen auf spätere Kandidaturen für den Grossrat oder den Nationalrat schmunzelt Kern nur vielsagend und meint dann: «Ich sage gar nichts mehr.» Um dann nachzuschieben: «Vielleicht habe ich einfach zu spät angefangen.»
Wahlforscher Georg Lutz bezweifelt, dass es für eine Politkarriere wirklich ein «zu spät» gibt. Wer früher anfange sei einfach früher am Ziel. Aber: «Man kann auch erst mit 45 starten, es dauert dann halt einfach gleich lang, bis man die nötige Vernetzungsarbeit geleistet hat.»