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Noch lange nicht am Ziel Viele Bushaltestellen sind immer noch nicht behindertengerecht

Laut Gesetz müssten bis 2023 alle Haltestellen in der Schweiz entsprechend umgebaut sein. Das wird aber kaum erreicht.

Die ausklappbare Rampe aus dem Bus steht steil. Ein schwieriger Ausstieg für René Kälin. «Da haben wir die schlechteste Situation, die man haben kann.» An dieser Bushaltestelle in Elsau nahe Winterthur gibt es keine erhöhte Haltekante. «Für einen Rollstuhlfahrer ist es hier schwierig bis unmöglich, ein- oder auszusteigen», sagt Kälin. Ein Eisengitter zur Abschrankung der Haltestelle ist ein zusätzliches Hindernis.

René Kälin rollt mit seinem Rollstuhl über eine Rampe aus dem Bus.
Legende: Häufig fehlen erhöhte Buskanten, wie hier auch in Elsau bei Winterthur. Das erschwert das alltägliche Leben von Menschen im Rollstuhl. Doch René Kälin hat Übung und einen gut motorisierten Rollstuhl. SRF

«Man fühlt sich ausgestellt und hat das Gefühl alles zu verzögern», sagt der Medizininformatiker René Kälin, der sich im Zentralvorstand von Cerebral Schweiz für die Anliegen von Menschen mit einer Bewegungseinschränkung einsetzt. Hilfe beim Ein- und Aussteigen in Anspruch zu nehmen sei für viele Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer eine Herabsetzung.

Man fühlt sich ausgestellt und hat das Gefühl alles zu verzögern.
Autor: René Kälin Vorstand Cerebral Schweiz

Diese Bushaltestelle in Elsau bei Winterthur ist keinesfalls eine Ausnahme. Rollstuhlgerechte Haltestellen sind in der Schweiz immer noch rar. Dies, obwohl laut dem Behindertengleichstellungsgesetz bis in zweieinhalb Jahren alle 21'000 Bushaltestellen in der Schweiz entsprechend umgebaut sein müssten.

Noch weit vom Ziel entfernt

Das Gesetz schreibt vor, dass Menschen mit einer Behinderung bis Ende 2023 an allen Haltestellen in der Schweiz autonom ein- und aussteigen können müssen. Ist das realistisch? Nie und nimmer, sagt Caroline Hess-Klein von der Behinderten-Organisation Inclusion Handicap.

Das Behindertengleichstellungsgesetz

Box aufklappen Box zuklappen

Das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen trat 2004 in Kraft. Es setzt Rahmenbedingungen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und insbesondere selbstständig soziale Kon­takte zu pflegen, sich aus- und weiterzubilden und eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

Das gilt für den öffentlichen Verkehr

Eine spezielle Verordnung im Gesetz regelt, wie der öffentliche Verkehr zu gestalten ist, damit er den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen entspricht. «Behinderte sollen Dienstleistungen des öffentlichen Verkehrs autonom beanspruchen können», heisst es in der Verordnung.

Ideal wäre dafür eine Haltestellen-Kante in der Höhe von 22 Zentimetern. Die Höhe ist rechtlich aber nicht verbindlich vorgegeben. Es handelt sich nur um eine Empfehlung.

«Ich schätze, dass es circa zehn Prozent der Bushaltestellen sind, die für Menschen im Rollstuhl autonom benutzbar sind.» Ein Grund sei, dass Kantone und Gemeinden diese Verpflichtung bis vor kurzem verschlafen oder nicht genug ernst genommen haben.

Nicht überall lohnt sich ein Ausbau

Im Kanton Zürich seien 70 Prozent der 1700 Haltekanten an Kantonsstrassen auf 16 oder 22 Zentimeter erhöht worden, sagt Thomas Maag, Sprecher der Zürcher Baudirektion. Bei vielen Bushaltestellen auf dem Land sei ein Umbau aber nicht verhältnismässig. «Der Ausbau wäre viel zu teuer und würde in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen.» Denn an diesen Haltestellen würden nur wenige Leute ein- und aussteigen, so Maag. Ausserdem müsste der Kanton für den Umbau an gewissen Stellen umliegendes Land dazu kaufen.

Ein- und Ausstiegen ganz ohne Hilfe des Buschauffeurs – das wird bis in zweieinhalb Jahren kaum an allen 21'000 Bushaltestellen in der Schweiz möglich sein. Um das barrierefreie Reisen überall zu ermöglichen, braucht es also noch grosse Anstrengungen der Kantone und Gemeinden.

Schweiz Aktuell, 21.06.2021, 19:00 Uhr ; 

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