Ein Mann mit dunklen Haaren schwebt in der Luft und räkelt sich in einem Ring. Es ist der Auftritt eines Artisten am Zirkusfestival «Young State» vor wenigen Jahren.
Diana Salles sieht sich diese Bilder an – und lacht. «Ich war so jung!» Sie sieht sich auf den Aufnahmen nämlich selber. Damals, vor wenigen Jahren, war sie noch ein Mann. Heute ist sie nicht mehr in der Manege beim Zirkus-Nachwuchsfestival «Young Stage», sondern Mitglied der Jury. Aus dem männlichen Artisten wurde die weibliche Jurorin. Aufgegeben hat sie die Manege allerdings nie. Salles ist weiterhin auch Artistin.
Dass Salles Zirkus-Jurorin wurde, habe nicht mit ihrer sexuellen Identität zu tun, betont die 28-jährige Brasilianerin. Sondern damit, was sie im Zirkus geleistet habe. Salles gewann nämlich mehrere internationale Auszeichnungen.
Als Jurorin ist sie nun nicht mehr diejenige, die Kunststücke zeigt. Jetzt bewertet sie den Auftritt anderer. Am Zirkusfestival «Young Stage» treten hunderte Nachwuchstalente auf. Die Jury wählt dann die besten unter ihnen aus.
Die Welt besteht nicht nur aus Barbies und Kens.
Trotz grossem Erfahrungsschatz im Zirkus will Salles nicht nur artistisch ein Vorbild sein. «Die Welt ist für alle da – und sie besteht nicht nur aus Barbies und Kens», sagt sie. «Auch wir gehören dazu.» Als bekennende Transfrau wolle sie auch Vorbild sein.
Non-binär im Zirkus
Und so freut sich Diana Salles, dass dieses Jahr mit Storm Hovan zum ersten Mal eine Person auftritt, die non-binär ist und das auch öffentlich so deklariert. Storm Hovan sieht sich also weder nur als Mann noch nur als Frau und will weder als «sie» noch als «er» angesprochen werden.
Bei den Zirkusnummern zeigt Storm Hovan dann auch mal eher die weibliche, mal eher die männliche Seite. «Es kommt auf die Nummer drauf an», sagt Storm Hovan. «Meistens ist es aber beides zugleich und ich bin einfach androgyn. So fühle ich mich am wohlsten.»
Die Nummer von Storm Hovan am Vertikalseil zeigt einen Menschen in psychischer Not. Die Person fällt, fängt sich kunstvoll auf und rappelt sich wieder hoch. «Ich bin stolz und dankbar, dass ich ein Vorbild sein kann. Ich will zeigen, dass LGBTQI-Menschen im Zirkus willkommen sind.» Es fehle in der Gesellschaft und im Zirkus nicht nur an Wissen zu non-ninären Personen, sondern auch an deren Repräsentation.
Rollenbilder auch im Zirkus
Frei von starren Frauen- und Männerrollenbildern ist der Zirkus freilich nicht. So ist beispielsweise der Zirkusdirektor meist ein Mann, die Zirkusdirektorin gibt es kaum. Dennoch seien Rollenbilder innerhalb der Zirkustruppe schon lange Thema, sagt Nadja Berger. Sie ist künstlerische Leiterin beim «Young Stage»: «Ich habe den Eindruck, dass die Gender-Diskussion bei uns nicht so neu ist wie in andern Branchen.»
Berger erklärt sich das nicht nur mit der Offenheit der Zirkus-Menschen, sondern auch mit den Ursprüngen des Zirkus. Dieser habe oft Menschen gezeigt, die anders ausgesehen oder am Rande der Gesellschaft gelebt hätten, sagt sie.
Ich kämpfe dafür, dass Menschen so sein können, wie sie sind.
Diana Salles freut sich nun auf das bevorstehende «Young Stage»-Festival. «Ich kämpfe dafür, dass Menschen so sein können, wie sie sind», sagt sie. Dass Storm Hovan also auftreten kann, ohne sich in die Kategorie Mann oder Frau einordnen zu müssen. Und dass sie selbst als Frau dabei sein darf, ohne zu verschweigen, dass sie früher ein Mann war.