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Appell an Schweizer Regierung Völkerrechtler kritisieren Bundesrat für seine Gaza-Politik

  • In einem offenen Brief wenden sich rund 30 Völkerrechts­professorinnen und -professoren an den Bundesrat.
  • Sie kritisieren die zurückhaltende Schweizer Nahostpolitik und stellen vier Forderungen.
  • Unter anderem fordern die Völkerrechtler, dass sich die Schweiz an den Bemühungen für die Schaffung eines palästinensischen Staates beteiligen solle.

Heute vor 76 Jahren, am 12. August 1949, wurden in der Schweiz die Genfer Konventionen unterzeichnet. Die vier Verträge regeln den Schutz von Menschen im Krieg und bilden den Kern des humanitären Völkerrechts. Anlässlich dieses Tages haben mehr als 30 Professorinnen und Professoren für Völkerrecht und Völkerstrafrecht, die an Schweizer Hochschulen lehren, dem Bundesrat einen Appell übergeben.

«Der Brief zielt darauf ab, den Bundesrat dazu zu bringen, gegenüber der israelischen Regierung Handlungen zu ergreifen», formuliert Helen Keller, Völkerrechtsprofessorin an der Universität Zürich und Mitunterzeichnerin des Appells, die Kernbotschaft.

Keller beruft sich auf ein Prinzip aus dem humanitären Völkerrecht: «Was auch immer die Hamas tut und wie abscheulich diese Taten auch sind: Es gibt der israelischen Regierung nicht das Recht, sich an der palästinensischen Bevölkerung zu rächen.»

Vier Verpflichtungen für die Schweiz formuliert

Konkret stützt sich der Appell auf mehrere Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) von 2024, welche Israels Anwesenheit im besetzten Palästinensergebiet als rechtswidrig erachten und Verpflichtungen für Israel sowie andere Staaten formulieren. Die Verpflichtung zur Verhütung des Völkermordes verlange von Vertragsstaaten, die Kenntnis von einer ernsthaften Gefahr der Begehung von Völkermord hätten, alles zur Verhinderung eines Völkermords zu unternehmen.

Die Schweiz gehört ebenfalls zu den Vertragsstaaten. Für die Unterzeichnerinnen des offenen Briefs an den Bundesrat ergeben sich aus den IGH-Gutachten daher vier völkerrechtliche Verpflichtungen für die Schweiz.

Offener Brief formuliert vier Verpflichtungen für die Schweiz

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Im offenen Brief äussern die Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtler ihr Entsetzen über die nach ihren Worten «schweren Verstösse gegen das Völkerrecht durch die israelische Armee im besetzten palästinensischen Gebiet, insbesondere im Gazastreifen». Zudem appellieren sie an die Verantwortung des Landes: Halte die Schweiz ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht ein, riskiere sie möglicherweise Gerichtsverfahren, heisst es im Brief. Die folgenden vier völkerrechtlichen Verpflichtungen für die Schweiz führen die Völkerrechtsprofessorinnen und -professoren auf Basis der IGH-Gutachten an:

  • Die Schweiz müsse weiterhin das UNO-Palästinenserhilfswerk UNRWA unterstützen und die Finanzierung desselben fortsetzen.
  • Die Schweiz müsse darauf achten, dass staatlich kontrollierte Unternehmen die Besetzung palästinensischen Territoriums nicht unterstützen. Dies betreffe insbesondere den Kauf und Verkauf von Rüstungsgütern und Waffen. Zudem müsse die Schweiz die Einfuhr von Produkten aus den Siedlungen als israelische Produkte verbieten.
  • Die Schweiz sei verpflichtet, sich an den Bemühungen anderer Staaten für die Schaffung eines palästinensischen Staates zu beteiligen.
  • Die Schweiz müsse die Einhaltung der Genfer Konventionen durch Israel aktiv durchsetzen, etwa durch gezielte Sanktionen gegen israelische Zivilpersonen. Auch sei die Schweiz verpflichtet, eine Konferenz über die Lage im besetzten palästinensischen Gebiet einzuberufen.

Erstunterzeichnende des Appells sind die Völkerrechtsprofessorinnen Samantha Besson von der Universität Freiburg, Anna Petrig von der Universität Basel sowie Marco Sassòli von der Universität Genf. Weitere Unterzeichnende sind unter anderen die Völkerrechtlerin Helen Keller von der Universität Zürich sowie die emeritierten Völkerrechtler Thomas Cottier (Bern) und Daniel Thürer (Zürich).

Diplomatin Schmutz Kirgöz: «Wir tun genug»

Die Schweiz tue derzeit genug zur Einhaltung der Genfer Konventionen, betonte die im Aussendepartement zuständige Top-Diplomatin Monika Schmutz Kirgöz Ende Juli im Interview mit SRF.

Man betreibe keine «Megafon-Diplomatie», sondern erinnere beide Parteien immer wieder an die Einhaltung des humanitären Völkerrechts, so Schmutz Kirgöz. Sobald es einen glaubwürdigen Friedensprozess gebe, könne die Schweiz zudem darüber nachdenken, Palästina anzuerkennen oder nicht. Ein aktuelles Statement der Landesregierung zum jüngsten offenen Brief liegt nicht vor, der Bundesrat wollte am Dienstag nicht Stellung nehmen.

Bereits viel Kritik an Schweizer Nahostpolitik

Es ist nicht die erste Kritik an der Schweizer Gaza-Politik. Am vergangenen Sonntag wurde ein weiterer offener Brief an den Bundesrat publik, in dem Prominente aus Kunst und Wissenschaft einen härteren Kurs gegen die israelische Regierung fordern. Zudem haben sich Anfang Juni 55 Schweizer Ex-Diplomaten in einem Schreiben schockiert gezeigt über die «Passivität der Schweiz» zu Israels Vorgehen in Gaza. Neben ihnen verlangen mittlerweile selbst Israelis in der Schweiz in einem Appell mehr Engagement vom Bundesrat.

Die Schweiz habe als Hüterin der Genfer Konventionen eine besondere Verantwortung, ist auch Völkerrechtsprofessorin Helene Keller überzeugt. «Das ist nicht einfach nur ein Blatt Papier. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Kriegsvölkerregeln auch tatsächlich eingehalten werden.»

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SRF 4 News, 12.08.2025, 12 Uhr;brus

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