Und dann, im letzten Akt, steht sie ganz alleine auf der Bühne und singt: «Frieden, Frieden, mein Gott!». Ausgerechnet Anna Netrebko besingt den Frieden! Sie tut dies mit ihrer bekannten dunklen und vielschichtigen Stimme. Das Zürcher Publikum bejubelt die Sopranistin an der Premiere vom Sonntag mit langem Applaus und «Brava!»-Rufen.
Proteste vor dem Haus, Bravorufe im Saal
Es ist einer von vielen denkwürdigen Momenten eines kontroversen Abends – eines Abends, der mit Protesten beginnt. Rund 20 Menschen halten vor dem Eingang des Opernhauses ukrainische Flaggen hoch. Netrebko sei die Stimme Putins, sagt eine Teilnehmerin zu den eintreffenden Oper-Besuchern.
Die ukrainische Botschafterin in der Schweiz hatte Netrebko im Vorfeld der Premiere als «Marke des Kremls» bezeichnet und eine Absage ihrer Auftritte gefordert. Netrebko habe 2014 auf dem besetzten Gebiet von Donezk mit der Flagge der sogenannten «Volksrepublik» posiert und eine Million Rubel gespendet.
Zürich als Kriegszone: provokante Inszenierung
Das Opernhaus hält an der Besetzung fest und trägt mit der Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper «La Forza del Destino» zu einem kontroversen Abend bei. Schon während der Ouvertüre macht eine Projektion klar: Die Schweiz ist im Krieg. Der Feind kommt von Osten, hat zuerst St. Gallen und dann Winterthur eingenommen. Zürich ist vom Krieg schwer gezeichnet.
Die Schweizer Bevölkerung muss sich vor Drohnenangriffen fürchten und leidet Hunger. Das strotzt nur so vor aktueller Symbolik. Die Schweiz ist die Ukraine, der Krieg – Putins Krieg – ist bei uns angekommen. Und mittendrin Anna Netrebko, der vorgeworfen wird, Putin-freundlich zu sein, auch wenn sie sich 2022 vom Krieg distanziert hat.
Zwischen PR und Kunst: offene Fragen
War Netrebkos Auftritt nun also ein kleiner Sieg für Putin, ein PR-Akt im hybriden Krieg, den Russland – ohne Zweifel – gegen den Westen führt? Oder war es genau das, was Kunst (auch) liefern soll: aktuelle Kontroverse, Provokation, ein Anregen zum Denken? Wohl von allem etwas.
Ein abschliessendes Urteil fällt auch deshalb schwer, weil niemand weiss, wie frei sich Netrebko überhaupt bewegen und äussern kann. Würde sie sich und ihre Familie in Lebensgefahr bringen, wenn sie sich vehementer gegen Putin und seinen Krieg äussern würde? Gut möglich.
Etwa acht Minuten dauert der begeisterte Schlussapplaus – vergleichbar mit ähnlichen erfolgreichen Premieren in Zürich. Nur für die Inszenierung gibt es ein paar Buh-Rufe. Die Schweiz als Kriegsschauplatz – das schien einen Teil des Publikums dann doch mehr zu stören als der kontroverse Auftritt von Netrebko.