Myriam Gottraux ist eine Überlebende der Terroranschläge von 2015 in Paris. Die Waadtländerin sass an jenem Abend auf einer Restaurant-Terrasse, als plötzlich Schüsse fielen. Eine Kugel aus einer Kalaschnikow traf sie am rechten Arm.
Die damals 57-jährige Osteopathin konnte ihren Arm danach nie mehr richtig bewegen. Osteopathen arbeiten jedoch vor allem mit ihren Händen, ohne zwei gesunde Arme sei das nicht möglich, sagt Gottraux.
Das Trauma nach dem Terror
Zum kaputten Arm kam das psychische Trauma der Terrorattacke dazu. Die Folge: Myriam Gottraux musste ihren Beruf aufgeben. Heute gehe es ihr wieder gut. Was blieb, ist ihre Wut auf die Schweiz. Man habe sie im Stich gelassen, sagt sie, unser Land überlasse die finanzielle Opferhilfe dem Ausland: «Die Schweiz wäscht ihre Hände in Unschuld.»
Myriam Gottraux hat aus dem Opferhilfefonds von Frankreich Geld erhalten, nicht von der Schweiz. Weil die Schweiz keine Entschädigung zahlen muss, sondern jener Staat, in dem das Attentat passierte. Und diese Praxis will der Ständerat nicht ändern. Er hat mehrere Vorstösse dazu definitiv abgelehnt.
Jacqueline De Quattro von der FDP wollte die Entschädigungspflicht der Schweiz wieder im Gesetz verankern; aber nicht nur für Opfer von Terroranschlägen, sondern auch für andere schwere Gewalttaten. Trotz der Niederlage will die Nationalrätin nicht aufgeben. «Der Vorstoss ging vielleicht etwas zu weit», sagt sie nach dem Ständeratsentscheid. «Ich sprach in dem Vorstoss ja auch von Gewalttaten im Ausland. Man könnte es aber auf Terroropfer beschränken – hier hoffe ich, dass eine Mehrheit möglich wäre.»
Was sind «schwere Gewalttaten»?
Für die Kantone wäre eine Erweiterung der Opferhilfe auf schwere Gewalttaten ein Problem, sagt die Solothurner SP-Regierungsrätin Susanne Schaffner, sie ist im Vorstand der SODK. Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren unterstützt die Kantone bei der Umsetzung des Opferhilfegesetzes.
Der Begriff «andere schwere Gewalttaten» sei zu offen formuliert, sagt Schaffner: «Der Begriff existiert so gar nicht. Es ist sehr schwierig abzuschätzen, was alles darunter fällt.» Die unbestimmte Formulierung würde das Feld der Straftaten weit öffnen – und könne in den Kantonen zu höheren Kosten führen.
Opfer müssen Tat belegen können
Ein weiteres Gegenargument der SODK: Die Aussicht auf Entschädigungszahlungen wecke immer auch falsche Erwartungen, sagt Schaffner. Betroffene von schwerer Gewalt müssten die Tat belegen können, und das sei sehr schwierig, weiss die frühere Opferanwältin: «Die Opfer werden in einen sehr langen Prozess verwickelt, und am Ende muss man feststellen: Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit lässt es sich nicht nachweisen.»
Die Opfer würden am Ende meistens leer ausgehen, so die Regierungsrätin. Dazu hinderten die langwierigen Prozesse die Opfer daran, die Tat verarbeiten zu können. Die Schweizer Praxis zur finanziellen Opferhilfe wird also nicht geändert. Es sei denn, einige Parlamentarierinnen und Parlamentarier machen ihre Ankündigung wahr und lancieren neue Vorstösse.