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Organisierte Kriminalität Expertin: «Die Pandemie ist nicht das Paradies für Gangster»

Im Frühling überschwemmten Kriminelle den Markt mit minderwertigen Schutzmasken. Ende des Jahres warnte die EU-Polizeibehörde Europol davor, dass jetzt auch gefälschte Impfstoffe angeboten würden. Laut Judith Vorrath von der Stiftung Wissenschaft und Politik sind viele der kriminellen Aktivitäten ins Internet verlegt worden.

Judith Vorrath

Sicherheitsexpertin

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Judith Vorrath ist Sicherheitsexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP). Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Organisierte Kriminalität, bewaffnete Gewalt und fragile Staatlichkeit.

SRF News: In welchen Gebieten profitieren Kriminelle von der Pandemie?

Judith Vorrath: Nicht in allen. Die Pandemie ist nicht das Paradies für Gangster. Es gibt aber Bereiche, in denen es neue Profitmöglichkeiten gibt. Dazu gehört alles, was vermeintlich zur Covid-19-Behandlung geeignet ist. Neu geht es auch um Impfstoffe, die angeboten werden und gefälscht oder gar nicht vorhanden sind. Auch im Bereich der Gebrauchs- und Konsumgüter gibt es zunehmenden Bedarf nach Fälschungen, weil Lieferketten unterbrochen sind und bestimmte Produkte nicht so schnell oder gar nicht verfügbar sind. Und der andere grosse Bereich ist eindeutig der Cyberraum.

Was ist der Grund dafür?

Die Menschen nutzen vermehrt das Internet. Nicht nur zur Kommunikation, sondern auch für Geschäfte. Viele Firmen und Behörden sind im Homeoffice, und auch der Schulunterricht findet zum Teil online statt.

Material von sexuellem Kindesmissbrauch wird verstärkt online gehandelt.

Das eröffnet neue Möglichkeiten für Betrugsdelikte, von Kreditkartenbetrug bis hin zu gefälschten Websites, auf denen zu Spenden aufgerufen wird. Es gibt aber auch Fälle, in denen Schadsoftware zur Lösegeld-Erpressung eingesetzt wird. All das gab es schon. Aber nun gibt es mehr Potenzial dazu.

Gibt es Delikte, die sich verändert haben?

Ja, Material von sexuellem Kindesmissbrauch zum Beispiel wird verstärkt online gehandelt. Das hat damit zu tun, dass Kinder mehr zu Hause sind, teilweise unbeaufsichtigt, dass Schulunterricht online stattfindet, die Kinder also mehr online sind und nicht immer angeleitet werden. In vielen Fällen werden Kinder online kontaktiert. Früher war es eher üblich, dass die Täter sich mit den Kindern getroffen und das Material selber erstellt haben. Das ist nun schwerer möglich. Deshalb wird mehr Material online generiert. Die Kinder werden dazu gezwungen, selber Videos und Fotos von sich zu machen, die der Täter dann nutzen kann.

Was ist mit den traditionellen Tätigkeitsbereichen?

Der Drogenhandel ist nach wie vor die wichtigste Einnahmequelle für die organisierte Kriminalität. Da hat sich niedergeschlagen, dass es Grenzschliessungen, Reisebeschränkungen und Lockdowns gab. Lieferketten und Transportwege wurden unterbrochen. Bei Heroin und Kokain, die über weite Strecken geschmuggelt werden, hat dies das Geschäft erschwert.

Der Drogenhandel ist nach wie vor die wichtigste Einnahmequelle.

Man hat aber auch an der Preisentwicklung gesehen, dass bestimmte Drogen in Europa zeitweise deutlich knapper waren. Die Frage ist jetzt, wie sich die Nachfrage entwickelt. Nach der Finanzkrise 2008 waren viele umgestiegen auf günstigere Drogen, etwa synthetische oder gemischte Drogen.

Und wie sieht es beim Menschenschmuggel aus?

Der Transport von Menschen über Grenzen kam fast völlig zum Erliegen. Viele Migranten und Migrantinnen hingen fest und waren besonders gefährdet, ausgebeutet zu werden. Das gilt aber auch für jene, die schon als Arbeitsmigrantinnen in bestimmten Ländern tätig sind. Es gibt Berichte, dass im Nahen Osten die Arbeitsausbeutung stark zugenommen hat. Auch für Europa wird befürchtet, dass nach den Lockdowns die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften ansteigt. Da besteht sicher die Gefahr, dass kriminelle Gruppen das stark ausnutzen.

Das Gespräch führte Barbara Büttner.

SRF 4 News, 08.01.2021, 07:45 Uhr ; 

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