In einem offenen Schreiben in der Zeitung «Le Temps» wenden sich 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Schweizer Universitäten und Hochschulen an die Öffentlichkeit. Es sind namhafte Forschende aus den Bereichen der Epidemiologie, Biologie und Chemie. Darunter auch Nobelpreisträger wie etwa der Biophysiker Jacques Dubochet von der Universität Lausanne. Sie schreiben, die nächste Pandemie sei vorhersehbar und deshalb sei es nun Zeit zu handeln.
SRF News: Was genau fordern die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in diesem Schreiben?
Thomas Häusler: Zuerst warnen sie davor, dass vieles, was wir Menschen tun, die Gefahr von künftigen Pandemien erhöht. Es geht darum, dass wir immer mehr in abgelegene Gebiete vordringen und diese wirtschaftlich nutzen. Wir gestalten sie auch drastisch um und dabei ergeben sich immer mehr Kontakte zwischen Menschen und wilden Tieren. Diese tragen viele Viren in sich, die auf Menschen überspringen können. Deshalb wird gefordert, dass wir weniger invasiv sein und weniger intakte Natur zerstören sollten, um das Risiko zu vermeiden, dass ein Virus überspringen kann.
Lesen Sie hier den Brief der Wissenschaftler:
Inwiefern ist aus wissenschaftlicher Sicht ein Zusammenhang zwischen der Corona- Pandemie und der Zerstörung der Biodiversität erwiesen?
Es gibt klare Hinweise, dass das Coronavirus ursprünglich von Fledermäusen stammt. Ob es auf Menschen übergesprungen ist, weil jemand diese Fledermaus gegessen hat oder ihrem Kot zu nahe gekommen ist, oder ob ein anderes Tier quasi dazwischengeschaltet war, wird untersucht. Es gibt bei einigen Epidemien sehr schlüssige Hinweise, dass die Erreger von Tieren stammen und dass durch die Naturzerstörung das Risiko vergrössert wird, dass diese Erreger auf den Menschen überspringen.
Manche Infektionskrankheiten nahmen wohl ihren Anfang, als die frühen Bauern sich die ersten Haustiere genommen haben.
Bei einem anderen Coronavirus – dem MERS-CoV – weiss man, dass es von Kamelen stammt. Dieses Virus ist in den letzten Jahren immer wieder auf den Menschen übergesprungen und hat kleinere Ausbrüche ausgelöst, die recht tödlich waren.
Nun sagen diese Wissenschaftler , wenn sich nichts ändere , drohe die nächste Pandemie. Wie gesichert ist das? Ist es nur eine Frage der Zeit?
Ja. Man kann das allerdings nicht in Jahren ausdrücken. Man weiss aus der Vergangenheit, dass immer wieder Erreger von Tieren auf Menschen übergesprungen sind, und zwar eben gehäuft, wenn der Mensch viel engen Kontakt in irgendeiner Form mit Wildtieren hat. Manche Infektionskrankheiten, die wir seit Langem kennen, nahmen wohl ihren Anfang, als die frühen Bauern sich die ersten Haustiere genommen haben.
Durch die Abholzung werden Tiere, die im Wald gelebt haben, gezwungen, auf dem neuen Landwirtschaftsland ihr Leben zu fristen.
Das heisst grundsätzlich: Je mehr wir den Lebensraum von wilden Tieren zerstören und sie dadurch näher an uns geraten – oder wir an sie –, desto grösser ist die Gefahr, dass ein weiteres Virus den Sprung zum Menschen schafft.
Gäbe es dereinst keine Pandemien mehr, wenn der Mensch der Natur mehr Raum zugestehen würde?
Leider ist das nicht so einfach. Der Fussabdruck des Menschen ist schon so gross, dass es wohl immer ein Übertragungspotenzial geben wird. Aber man kann es deutlich verkleinern, wenn man zum Beispiel nicht noch mehr Regenwälder abholzt. Durch die Abholzung werden Tiere, die im Wald gelebt haben, gezwungen, auf dem neuen Landwirtschaftsland ihr Leben zu fristen. So kommen sie eher in Kontakt mit Menschen.
Gleichzeitig versuchen Forscher, die Viren, die in Wildtieren vorkommen, aufzuspüren und abzuschätzen, wie gross ihr Potenzial ist, Pandemien auszulösen. Diese Überwachung kann einen Beitrag zum Schutz vor der nächsten Pandemie leisten.
Das Gespräch führte Roger Aebli.