Zum Inhalt springen

Parteien im Prüfstand Mitte und FDP überzeugen mit Reaktion auf Ukraine-Krieg

Die Ukraine-Krise zeige klar die Formschwäche der Polparteien. So die Einschätzung von zwei bekannten Politbeobachtern.

Eine solche Krise verlangt nach politischen Antworten. Wie stark dieser Krieg die Parteienlandschaft beeinflusst, wird von der Dauer der Krise und den Problemen abhängen, wie Politikwissenschaftler Claude Longchamp sagt. Als Beispiele nennt er mögliche Versorgungsprobleme, Konflikte um Kernenergie und Atomkraftwerke in der Ukraine, die Sicherheit in Europa oder gar einen drohenden Weltkrieg: «Das hätte zweifellos Auswirkungen auf die Parteien.»

Bei einer Atomkrise würden wohl die Grünen profitieren, aber sonst bringe der Krieg eher bürgerliche Themen auf die Agenda, sagt ein anderer bekannter Politbeobachter, Michael Hermann: «Sicherheitsbedürfnisse und wirtschaftliche Stabilität werden eher an Bedeutung gewinnen, was eher den Bürgerlichen hilft.»

Lob für FDP und Mitte

Die Bürgerlichen, namentlich die FDP und die Mitte, hätten auch überzeugender auf den Krieg reagiert als die Polparteien, finden Longchamp und Hermann. Letzterer erwähnt vor allem den Präsidenten der Mitte: Gerhard Pfister habe bemerkenswert schnell die Werte-Dimension des Konflikts in den Vordergrund gestellt und nicht gleich auf mögliche parteipolitische Themen gelenkt.

Pfister forderte bereits am Tag 1 der Invasion, dass sich die Schweiz den internationalen Sanktionen anschliessen solle. Das tat aber auch FDP-Präsident Thierry Burkart. Bei ihm kam die Abkehr von der traditionellen Neutralitätspolitik vielleicht fast noch überraschender. «Das kommt in einer solchen Krise auch nicht schlecht an, wenn man bereit ist, Positionen zu revidieren und neu zu denken», stellt Hermann fest.

SVP: «sehr nervös»

Normalerweise glänzt die SVP mit schnellen Reaktionen. Allerdings agiere sie in letzter Zeit wenig überzeugend, sagt Longchamp: «Die SVP ist im Moment sehr nervös und nicht wirklich geführt.» Longchamp vermisst eine klare Strategie. Unterschiedlichste Exponenten fielen zudem mit markanten Äusserungen zu verschiedensten Themen auf. Erwähnt sei hier lediglich SVP-Bundesrat Maurer, der noch am Tag der russischen Invasion den russischen Aussenminister als einen der besten Aussenminister bezeichnete. 

Dabei ist mit der Flüchtlingskrise ein Thema aktuell, das normalerweise der SVP hilft. Aber weil der Aggressor so klar sei, weil ein europäisches Land angegriffen werde und weil vor allem Frauen und Kinder auf der Flucht seien, könnten sich auch viele Bürgerliche mit den Flüchtlingen solidarisieren, so Hermann.

«Ethisches Dilemma»

Zudem schade die Putin-Nähe mancher Exponenten nun der SVP. Laut Hermann hat sich die SVP in ein «grosses ethisches Dilemma» manövriert. Denn nun bedroht ein Imperium die Souveränität eines kleinen Landes, das heldenhaft um seine Freiheit kämpfe: «Da müsste sich doch gerade ein Konservativer auf die Seite der Gallier und nicht der Römer stellen.»

SP: «Surfen im Wind»

Bei der SP orten die Politbeobachter das Grundproblem, dass sie links mit den Grünen und rechts mit den Grünliberalen konkurrenziert. Das ist nicht einfach. Die Sozialdemokraten dürften zwar mit dem Ausbruch des Krieges auf etwas Rückenwind durch die wiedererwachte Friedensbewegung gehofft haben.

Doch laut Longchamp ist auch das «zu starkes Surfen im Wind». Die Positionierungsfragen der SP könnten nicht mit drei Wochen Mobilisierung auf der Strasse überspielt werden. Dazu zähle etwa die Haltung in der Europafrage, ergänzt Hermann: Die EU rücke in der Krise zusammen, doch die SP sei realpolitisch so weit von Europa entfernt wie lange nicht mehr.

Echo der Zeit, 25.03.2022, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel