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Personalmangel in der Pflege Bis 2029 braucht die Zentralschweiz 14'000 neue Pflegefachkräfte

Ob im Spital oder in der Spitex: Gesundheitsbetriebe suchen händeringend nach Personal. Nun gehen sie in die Offensive.

Ihre ganze Arbeitsausrüstung passt in einen Rucksack. Julia Niederberger öffnet den Reissverschluss, ein letzter Kontrollblick: Ein Verbandskasten, das Rapport-Handy, Güselsäckli und der blaue Kasack, die traditionelle Arbeitsbluse in der Pflege – alles ist drin, auf geht's zur ersten Klientin. Ein Verbandswechsel steht an.

Julia Niederberger ist angehende Fachfrau Gesundheit bei der Spitex Nidwalden. Die 17-Jährige steht im zweiten Ausbildungsjahr. Und ist damit ein Lichtblick in der Branche. Denn: Laut einem Bericht braucht die Zentralschweiz von 2019 bis 2029 insgesamt rund 14'000 zusätzliche Pflege- und Betreuungsfachkräfte.

Zwei Spitex-Mitarbeitende sitzen an einem Tisch und machen Rapport.
Legende: Julia Niederberger (links) wird zweimal im Monat von Berufsbildnerin Vanessa Schleiss auf ihren Hausbesuchen begleitet. srf/Evelyne Fischer

Lange stieg die Zahl der Auszubildenden – nun stockt diese Entwicklung. Spitäler, Heime oder Psychiatrien müssen die Werbetrommel rühren. Eine Initiative dafür: die erste Zentralschweizer Woche der Gesundheitsberufe. Bis am 13. Mai wollen über 100 Gesundheitsbetriebe mit Einblicken neue Fachkräfte begeistern. Und die Bisherigen behalten – mit Kurzkonzerten als Dankeschön.

Schon nach einem halben Jahr allein unterwegs

Auch die Spitex Nidwalden macht mit. Was nämlich oft vergessen gehe: Ihre Institution biete ebenfalls Lehrstellen an, so die Bildungsverantwortliche Regula Spuhler. Unter anderem mit einem Erlebnis-Parcours will die Spitex hier Gegensteuer geben.

Für Julia Niederberger stand immer fest: Sie gehört in die Pflege. «Schon als Kind imponierten mir Krankenschwestern.» Offen war für sie nur: Wollte sie ihre Ausbildung in einer Gesundheitseinrichtung absolvieren? Oder lieber bei der Spitex, wo ihr Alltag von Hausbesuchen geprägt ist?

Nahaufnahme eines Handys der Spitex.
Legende: Eines der wichtigsten Arbeitsgeräte der Spitex-Mitarbeitenden: Im Handy ist die Krankengeschichte aller Klientinnen und Klienten hinterlegt. srf/Evelyne Fischer

Niederberger entschied sich für Letzteres. Wegen der Selbstständigkeit – schon nach einem halben Jahr klopfte sie allein bei Klientinnen und Klienten an. «Und weil mir diese viel zurückgeben.»

Spital besetzt Lehrstellen immer kurzfristiger

Im Rahmen der Spezialwoche präsentiert sich auch das Luzerner Kantonsspital. Die Luks-Gruppe mit gut 8000 Angestellten – davon über 700 Lernende – ist die grösste Arbeitgeberin der Zentralschweiz. Die breite Job-Palette gefalle den Jugendlichen, sagt Ingrid Oehen, Leiterin der Ausbildung am Luks. Innerhalb des Betriebs könne man Karriere machen. «Also beispielsweise als Fachfrau Gesundheit die Lehre starten und später in eine Ausbildung im Labor wechseln.»

Den letzten Ausbildungsplatz für den August haben wir vor einer Woche besetzt.
Autor: Ingrid Oehen Leiterin Ausbildung am Luzerner Kantonsspital

Lehrstellen zu besetzen, sei trotzdem kein Selbstläufer. «Den letzten Ausbildungsplatz für den August haben wir vor einer Woche besetzt. Vor zehn Jahren waren die Lehrstellen schon im Jahr zuvor vergeben.»

Doch Fachkräftemangel hin oder her: Die Hürden für den Berufseinstieg zu senken, sei keine Option. Zum einen wegen der schulischen Anforderungen. Zum anderen, weil die Arbeit am Krankenbett nicht allen liege, so Oehen. «Du musst psychisch stark sein, um abends abschalten zu können.»

Umgang mit Intimität will gelernt sein

Auch für Julia Niederberger war der Lehrbeginn ein Sprung ins kalte Wasser. Klientinnen und Klienten zu baden oder an intimen Stellen zu pflegen: Daran habe sie sich gewöhnen müssen. Aber: «Der Umgang mit Intimität ist in der Berufsschule und im Betrieb immer wieder ein Thema. Das hilft.»

Und es helfe auch, morgens den Kasack überzuziehen und damit quasi in eine Rolle zu schlüpfen. Abends dann tausche sie die Arbeitsbluse gerne gegen das Seilzieh-Trikot. Sie brauche Bewegung zum Abschalten – sogar dann, wenn sie bereits den ganzen Tag auf den Beinen war.

Berufsverband: Werbeoffensive alleine reicht nicht

Box aufklappen Box zuklappen

Lob für die erste Zentralschweizer Woche der Gesundheitsberufe gibt es von der Sektion Zentralschweiz des Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner.

«Wir begrüssen die Woche als zusätzlichen Schritt, um neue Fachkräfte anzusprechen», sagt Miriam Rittmann, Präsidentin der Zentralschweizer Sektion. Dies sei wichtig, um Gesundheitsberufe sichtbar zu machen und eine gute Gelegenheit, um «motivierte Leute» zu zeigen.

Um neue Menschen für den Beruf begeistern zu können und das bisherige Personal zu behalten, reiche diese Offensive alleine aber nicht aus. «Es braucht mehr Wertschätzung für die Mitarbeitenden, mehr Zeit für die Pflege und Erholung, eine gute Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit sowie genügend finanzielle Mittel.»

Regionaljournal Zentralschweiz, 10.05.2023, 17:30 Uhr ; 

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