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Politpirouetten im Bundeshaus Wenn sich die Hälse im Wahljahr wenden

Ein starkes Rückgrat kann durchaus ein bisschen flexibel sein. Zum Beispiel eine kleine Verbeugung in Richtung Wählerschaft machen. Oder ein kräftiges Brusttrommeln abfedern. Schliesslich ist Wahljahr.

Doch was einige Nationalrätinnen und Nationalräte diese Session vollführt haben, setzt fast schon ein Rückgrat aus Gummi voraus.

So haben SVP und CVP jahrelang darauf hingearbeitet, mit höheren Krankenkassenfranchisen die Eigenverantwortung zu stärken im Kampf gegen überbordende Gesundheitskosten. So argumentierten sie jedenfalls noch in dieser Session.

Die 180-Grad-Drehung der SVP

Doch dann erreichten sie erboste Basis-Stimmen und eine Referendumsdrohung der SP. Und die SVP, die anderen so gern mangelndes Rückgrat vorwirft, mutete ihrem eigenen Rückgrat eine 180-Grad-Drehung zu und sagte heute plötzlich Nein.

Auch die CVP verrenkte sich: von einem Ja zur Stimmenthaltung. Und so standen FDP, BDP und GLP plötzlich alleine da mit ihren Franchisen-Erhöhungs-Plänen. Und verloren.

Es war nicht die einzige Schlangenmensch-Vorstellung in dieser Session. Geradezu spektakuläre Windungen zeigten Bürgerliche – auch die FDP – beim Bewilligen von Strassenausbauten. In grösster Spendierlaune bewilligten sie gar ungeprüfte Projekte, deren Kosten zudem noch nicht geklärt sind. Als ihnen aufging, dass ein solcher Umgang mit Steuergeldern wohl kaum als seriös betrachtet werden kann, blieb nur noch ein Rückwärtssalto: Ja zu den umstrittenen Projekten, aber Geld dafür gibt's vorläufig keines.

Auch Grüne und Grünliberale verbeugten sich

Nur einer hatte immerhin so viel Rückgrat, ehrlich zuzugeben, was passiert war: FDP-Nationalrat Kurt Fluri sagte, er habe aus Gründen des «Lokalkolorits» einem Projekt zugestimmt, von dem er angenommen habe, es werde sowieso abgelehnt. Kurz: Wahlkampf.

Auch die Grünen und Grünliberalen konnten in diesem Moment den Verlockungen des Wahljahrs nicht widerstehen. In einer tiefen Verbeugung vor ihrer Wählerschaft drohten sie mit einem Referendum gegen die Straussenausbauten. Und zwar dann, als allen bereits klar war, dass die Bürgerlichen sowieso zurückkrebsen.

Bühne für Schlangenmenschen und Wendehälse

Das waren nur die spektakulärsten Müsterchen aus der diesjährigen Frühlingssessions-Vorstellung. In Wahljahren haben Schlangenmenschen und Wendehälse im Parlament eine Bühne.

Wer wissen will, wo seine Lieblingspartei wirklich steht, sollte vor allem in den Jahren dazwischen genau hinschauen.

Nathalie Christen

Bundeshausredaktorin

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Christen ist Korrespondentin im Bundeshaus für Fernsehen SRF. Sie arbeitet seit 2002 für SRF. Unter anderem leitete sie die Bundeshausredaktion von Radio SRF und war Produzentin bei der «Arena». Zuvor war sie Bundeshausredaktorin beim «SonntagsBlick».

Hier finden Sie weitere Artikel von Nathalie Christen und Informationen zu ihrer Person.

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