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Premier Li Qiang in Bern Die Chancen und Risiken der Zusammenarbeit mit China

Die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und China sind eng – und doch sind solche Kontakte immer ein Spagat.

Anlässlich des Besuchs des chinesischen Premierministers Li Qiang in Bern stellt sich wieder einmal die Frage: Kann sich die Schweiz für Menschenrechte in China einsetzen – ohne die Chinesen zu brüskieren und die guten Kontakte aufs Spiel zu setzen?

Natürlich sei ein enger Austausch mit China im Interesse der Schweiz, sagt Ralph Weber, Professor am Europainstitut der Universität Basel. Doch die Zusammenarbeit bleibe ein Balanceakt. «Das Problem ist, dass China ein ganz anderes politisches System hat. Nämlich ein autoritäres System, das in den letzten Jahren sogar noch autoritärer geworden ist.» Und diese politische Entwicklung zeige sich auch in den Beziehungen zwischen China und der Schweiz.

Forschungszusammenarbeit mit Fallstricken

Beispiel Wissenschaft: Schweizer Universitäten und Technische Hochschulen pflegen Kontakte nach China. Und mittlerweile sind auch viele chinesische Forscherinnen und Studenten in der Schweiz tätig. Das sei eigentlich positiv, sagt China-Experte Weber. Es gebe aber auch einen heiklen Punkt – nämlich die Nähe der chinesischen Wissenschaft zum Militär. Bei wissenschaftlichen Kooperationen mit China müsse man davon ausgehen, dass militärisch nutzbare Forschungsergebnisse auch an das Militär weitergeleitet würden.

Das sei kein Grund, jegliche Zusammenarbeit mit China infrage zu stellen, betont Weber. Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssten sich aber immer genau überlegen, welche Daten sie an chinesische Stellen weiterleiteten.

Fragezeichen beim Freihandel

Fragen stellen sich auch zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Soll etwa das Freihandelsabkommen mit China erweitert werden? Gerade die chemische Industrie und die Maschinenbaubranche setzen darauf und hoffen, dass China die Zölle auf ihre Produkte aufhebt – was im wirtschaftlichen Interesse der Schweiz wäre.

Li Qiang mit Viola Amherd
Legende: Hoher Besuch in Bern: Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang ist heute in der Schweiz. Bundespräsidentin Viola Amherd empfing Chinas Nummer zwei mit militärischen Ehren. Keystone/Peter Klaunzer

Ein erweitertes wirtschaftliches Abkommen könne aber ein falsches politisches Signal setzen, gibt Weber zu bedenken. Gerade in der jetzigen Zeit. Weber erinnert an die Lage der Uiguren und der Menschen in Tibet, die Aushöhlung der Demokratie in Hongkong, Chinas Säbelrasseln gegenüber Taiwan und im Südchinesischen Meer. «In diese Zeit hinein setzt man ein Zeichen der Normalisierung, indem man sagt, dass es in Ordnung ist, sich auf wirtschaftlicher Ebene mit China auszutauschen.»

«Zickzackkurs» der Schweizer Politik

Der Experte bezweifelt, dass die chinesische Führung eine Menschenrechtsklausel im Freihandelsvertrag akzeptieren würde. Diese Forderung erheben immer wieder Menschenrechtsgruppen und linke Parteien. Weber kritisiert aber den «Zickzackkurs» der Schweizer Aussenpolitik. Einmal kritisiere die Schweiz vor der UNO, dass China die Uiguren und andere Minderheiten unterdrücke – ein anderes Mal halte sich die Schweiz auf einmal zurück.

Hier könnte sich die Schweiz eine konsequentere Haltung erlauben – gerade weil sie so gute Kontakte zu China habe, ist der Experte überzeugt. «Die Frage der Brüskierung ist ernst zu nehmen. Sie kann aber auch zur Geissel werden, indem eigene Handlungsoptionen undenkbar werden.» Eine solche Handlungsoption wäre für Weber, dass sich die Schweiz für die verfolgten chinesischen Menschenrechtsanwälte einsetzen würde.

Es gibt kein Patentrezept im Umgang mit China, aber es gibt Spielräume, die noch zu wenig genutzt werden – so Webers Quintessenz.

Rendez-vous, 15.01.2024, 12:30 Uhr

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