An einem Montagmorgen Ende September war die Merjenbrücke in der Walliser Gemeinde Stalden rosarot angemalt. Auf ihrer ganzen Länge von 108 Metern. Die Behörden fackelten nicht lange, sie liessen die Farbe am selben Vormittag von Feuerwehrleuten wegputzen.
Die Künstlerin Barbara Kiener aus Interlaken informierte die Gemeinde, die Polizei und den Denkmalschutz, dass sie die Urheberin war. Und dass die Bemalung hauptsächlich aus Kreide und Lebensmittelfarbe bestand. «Der Regen hätte sie im Lauf von ein paar Wochen vollständig abgespült», sagt sie im Gespräch mit SRF. Die Farbmischung sei zu hundert Prozent biologisch abbaubar gewesen.
Nachts mit einem Bergführer
Barbara Kiener hatte keine Bewilligung für das Anmalen der Brücke. «Damit mich niemand sah und ich das Werk vollenden konnte, brachte ich die Farbe nachts an», erzählt sie. Dabei liess sie sich von einem Bergführer sichern, schliesslich führt die Brücke über eine tiefe Schlucht. Warum tut sie so etwas – illegal?
Ein Detail, das plötzlich anders ist, kann die Wahrnehmung verändern.
Sie möchte mit ihren Kunstaktionen stets etwas thematisieren, sagt Barbara Kiener. Und zwar nicht im geschützten Rahmen eines Museums oder einer Galerie, sondern draussen, im öffentlichen Raum. «Hier greife ich in die alltägliche Wahrnehmung ein. Ein Detail, das plötzlich anders ist, kann die Wahrnehmung verändern oder schärfen.»
Nicht wegen der AHV-Reform
Die Brücke im Wallis wählte Barbara Kiener als Symbol der Verbindung, erzählt sie. «Auf einer Brücke kann man sich begegnen.» Mit der Abstimmung über die AHV-Reform – die Brücke war am nächsten Morgen rosarot – habe ihre Aktion nicht direkt zu tun gehabt. Indirekt habe das Thema der Begegnung durchaus eine politische Komponente, die dazu passe. Sie wolle mit ihren Arbeiten immer gesellschaftskritisch sein, sagt die Künstlerin.
Die Wahrnehmung verändern – das versuchte Barbara Kiener auch während des ersten Corona-Shutdowns im Mai 2020: Sie ging zu Fuss auf das menschenleere Schilthorn und liess sich dort von der laufenden Webcam filmen. «In dieser Zeit fand keine Kunst und keine Kultur statt», erklärt die Künstlerin. Mit der Webcam wollte sie zeigen, dass trotz allem eine Verbindung untereinander möglich war.
Ganz anders als weiss und sanft war die Aktion «Mist»: Auf dem Berner Bahnhofplatz baute Barbara Kiener im Jahr 2019 zehn Tonnen Kuhmist zu einem Miststock auf. Sie habe damit ein Material und eine Tätigkeit aus dem ländlichen Raum in die Stadt gebracht – als Perspektivenwechsel. Da hätten viele Leute die Nase gerümpft. «Es stank in der ganzen Stadt, das hatte ich in dem Ausmass nicht erwartet.»
Ein paar Leute hätten versucht, sie mit Mist zu bewerfen, erzählt Barbara Kiener. Worauf sich mehrere Frauen, die sie nicht kannte, zusammentaten und sich schützend vor die Künstlerin stellten.
Und wer räumt auf? Wer zahlt das Wegputzen? Für die Künstlerin ist klar, dass das auf ihre Rechnung geht. Die Reinigung durch die Stadt habe sie im Voraus organisiert. «Es ist mir wichtig, einen sauberen Platz zu hinterlassen und alles selbst zu bezahlen.» Ihre Kunstaktionen finanziere sie durch den Verkauf der Bilder, die sie in ihrem Atelier malt.
Bei der Brücke im Wallis hat Barbara Kiener das Putzen nicht organisiert. Das hätten die nächsten Regengüsse übernommen, wenn die Feuerwehr nicht so schnell gewesen wäre.