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Prozess in Bremgarten AG Behinderte Tochter getötet: 8 Jahre Gefängnis für Eltern

  • Das Bezirksgericht Bremgarten hat die Eltern des getöteten Kindes zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt.
  • Es sei vorsätzliche Tötung gewesen, urteilte das Gericht. Die Verteidigung hatte drei Jahre für Totschlag gefordert, die Staatsanwaltschaft 18 Jahre für Mord.
  • Die heute 32-jährige Mutter und der 34-jährige Vater haben 2020 ihre schwerbehinderte dreijährige Tochter getötet. Sie haben ihr einen mit Ecstasy versetzten Schoppen gegeben und sie danach erstickt.

Das Bezirksgericht qualifizierte die Tat der Eltern als «vorsätzliche Tötung». Sie hätten die Tötung geplant und die Abhängigkeit des Kindes ausgenutzt. Strafmildernd sei für das Bezirksgericht die «schwere Betroffenheit der Eltern», hiess es in der mündlichen Urteilsbegründung.

Das Schicksal des Kindes mache traurig und betroffen, betonte das Gericht. Die Eltern hätten viel durchgemacht. Es sei nachvollziehbar, dass sie an Grenzen gestossen seien. Nicht nachvollziehbar sei «dass sie nicht mehr Hilfe suchten, nicht mehr Unterstützung angenommen haben.

Nicht Totschlag, nicht Mord

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Das Gericht sprach sich für vorsätzliche Tötung aus. Der mildere Tatbestand «Totschlag» erfordere eine grosse seelische Belastung, einen chronischen seelischen Ausnahmezustand. Die Eltern hätten aber beide ausgesagt, es stehe gut um ihre Gesundheit.

Auf der anderen Seite erfordere Mord eine besonders skrupellose Tat, eine aussergewöhnlich krasse Missachtung des Lebens. Diese liege in diesem Fall aber ebenfalls nicht vor. Es sei glaubhaft, dass die Eltern für ihr Kind «einen schönen Tod wollten», hiess es in der mündlichen Urteilsbegründung.

Es gebe in diesem «tragischen Fall nicht gut und böse, schwarz oder weiss». Die Wahrheit sei vielschichtiger, argumentierte die Gerichtspräsidentin. Sie betonte die «emotionale Überforderung» der Eltern. Sie hätten das Leid ihrer Tochter nicht mehr ertragen.

Das Bezirksgericht Bremgarten betonte am Freitag, dass die Eltern nicht das Recht gehabt hätten, darüber zu entscheiden, ob das Leben des Kindes lebenswert war.

Überfordert mit Behinderung

Die dreijährige Tochter litt an Cerebralparese, einer unheilbaren Krankheit. Sie konnte nicht richtig sitzen, hatte Angst vor dem Essen und Schlucken und war rund um die Uhr auf Betreuung angewiesen.

Die Angeklagten und ihre Verteidiger

Eine Magensonde hätte eine Verbesserung bringen sollen. Doch die Eltern sagten die geplante Operation ab. Auch lehnten sie verschiedene Male Hilfe ab und verzichteten auf Angebote zur Entlastung.

Unterschiedliche Schilderung des Familienlebens

Vor Gericht hatten Anklage und Verteidigung die Situation der Familie sehr unterschiedlich beschrieben. Ihr Tod sei für die Tochter das Beste gewesen, hatten Mutter und Vater ausgesagt. Sie würden es wieder tun, auch wenn es für sie als Eltern das Schlimmste sei.

Die Staatsanwaltschaft hatte betont, es habe Hoffnung auf eine verbesserte Situation gegeben. Eine geplante Operation und das spätere Wohnen in einer Institution hätten helfen können. Die Eltern hätten aber sämtliche Hilfeangebote abgelehnt. «Die Tötung war von Anfang an der einzige Ausweg.»

Aus der Überwachung der Familie sei bekannt, dass Gewalt und ein rauer Umgangston zum Alltag gehörten. «Sie führten nicht das aufopfernde Familienleben, wie sie es darstellen», hatte die Staatsanwältin betont. Die Eltern hätten die Tötung der Tochter im Mai 2020 von langer Hand geplant.

Cerebrale Bewegungsbehinderung

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Laut der «Vereinigung Cerebral Schweiz» sind cerebrale Bewegungsbehinderungen Störungen im Bewegungsablauf, die auf eine Hirnschädigung zurückzuführen sind. Bei der «Cerebralparese», wie die Behinderung in der Fachsprache heisst, entwickeln sich Haltung, Bewegung oder Reflexe eines Kindes nicht erwartungsgemäss.

Neben Problemen mit der Motorik können unter anderem Schluckprobleme auftreten. Das Sprechen ist oft langsam oder gar nicht möglich. Die Behinderung sei nicht heilbar, heisst es weiter, Betroffene können aber durch moderne Hilfsmittel unterstützt werden.

Jedes 500. in der Schweiz geborene Kind ist von Cerebralparese betroffen, oft aber nur leicht, wie es bei der «Stiftung Cerebral» heisst. Die Stiftung schätzt, dass es in der Schweiz 11'000 betroffene Familien gibt.

Angeklagt war neben den beiden Eltern auch die Grossmutter des Kindes. Sie wurde vom Vorwurf der Gehilfenschaft zum Mord freigesprochen. Die Eltern werden zusätzlich zur Freiheitsstrafe auch des Landes verwiesen – sie stammen ursprünglich aus Deutschland.

Das Urteil des Bezirksgerichts Bremgarten ist noch nicht rechtskräftig. Ob Staatsanwaltschaft oder Verteidigung das Urteil weiterziehen, ist noch nicht bekannt.

SRF Nachrichten, 13.9.2024, 11:00 Uhr ; 

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