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Prozess IS-Rückkehrerinnen Dschihad-Reisende haben von Anschlag auf UNO gesprochen

Zwei Frauen sprachen über einen Anschlag gegen die UNO und die Gay-Pride-Parade. Auch ihr Sohn war radikalisiert. 2015 kehrten sie vom IS in die Schweiz zurück, erst jetzt findet der Prozess statt. Warum dauerte es so lange?

Der Prozess: Am 7. Mai findet vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona der Prozess gegen zwei Schwestern statt. Sie sind wegen Verstosses gegen das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen Al-Kaida und Islamischer Staat angeklagt. Sie hätten auch über einen Anschlag auf die Vereinten Nationen gesprochen. Ein weiteres mögliches Ziel eines Anschlags sei die Gay-Pride-Parade in Zürich oder Bern gewesen. Die Angeklagten, eine tunesisch-schweizerische Doppelbürgerin und eine tunesische Staatsbürgerin, wohnen im Kanton Waadt. Für die Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.

Ungewöhnliche Familienradikalisierung: Nicht nur die Schwestern, mittlerweile etwa 50 Jahre alt, sind angeklagt. Es gibt noch weitere Verstrickungen in der Familie zum Dschihad: Eine der Schwestern ist die Mutter eines Jugendlichen, der bereits verurteilt wurde, weil er sich dem IS anschliessen wollte.

Frau im Tschador
Legende: Symbolbild: Zu sehen ist eine Witwe eines radikalen Kämpfers des Islamischen Staates in der Nähe von Baghouz, Syrien, im März 2019. Reuters TV /Reuters

Das sind die Vorwürfe der Anklage: Laut Anklageschrift versuchten die Mutter und ihr 16-jähriger Sohn 2014 ein erstes Mal erfolglos, sich dem IS in Syrien anzuschliessen. Im Februar 2015 gelang es den beiden Schwestern und dem Sohn. Sie passierten die Grenze zwischen der Türkei und Syrien.

Karte von Syrien und Irak mit Gebieten unter IS-Kontrolle und wichtigen Städten.
Legende: Via Istanbul, dann Gazientep und Sanliurfa gelangen die drei mithilfe von IS-Schleppern nach Syrien. Der IS kontrolliert damals noch eigene Gebiet in Syrien und dem Irak. Rund 1.5 Monate sind die drei dort. SRF

Nach ihrer Ankunft wurden die Frauen und der Sohn getrennt. Nach drei Tagen beantragen sie bereits die Rückkehr – werden daraufhin aber vom IS wegen Spionageverdachts festgehalten. «Während rund 20 Tagen wurden sie von IS-Mitgliedern verhört», schreibt Bundesanwalt Andreas Müller in der Anklageschrift. In Syrien hätten die Mutter und die Schwester darüber gesprochen, einen Anschlag gegen die UNO in Genf zu planen. Ein weiterer Vorwurf: Sie hätten lernen wollen, eine Bombe zu bauen, um die Gay-Pride-Parade in Zürich oder Bern anzugreifen.

Chronologie der Ereignisse

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November 2014: Mutter und Sohn versuchen eine erste Grenzüberquerung nach Syrien

7. Januar 2015: Anschlag auf das Magazin «Charlie Hebdo»

13. November 2015: IS-Anschlag auf das Konzertlokal Bataclan und andere Ziele in Paris

3. Februar 2015: Die Mutter, ihre Schwester und der Sohn schliessen sich dem IS an

Ende März: Rückkehr in die Schweiz

14. Juli 2016 : IS-Anschlag in Nizza

19. Juli 2016: Sohn versucht, mit Freundin nach Syrien zu reisen

28. Juli 2016: Sohn wird in der Schweiz festgenommen, drei Monate in Untersuchungshaft

19. Dezember 2016: IS-Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin

20. März 2017: Ausweisung der Freundin und ein zehnjähriges Einreiseverbot für die Schweiz

30. Juni 2017: Der Sohn wird vom Jugendgericht des Kantons Waadt zu 6 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Er erhält 2020 weitere 6 Monate

5. September 2017: Zwei Schwestern werden festgenommen, etwa zwei Monate in Untersuchungshaft

7. Mai 2024: Prozess gegen die Schwestern vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona

Laut Bundesanwalt habe die Mutter den IS weiterhin finanziell unterstützt.

Warum dauerte die Strafverfolgung so lange? «Das Verfahren steht im Zusammenhang mit einem anderen Verfahren», sagt Ahmed Ajil, Kriminologe und Terrorismusforscher der Universität Lausanne. Darin ging es ebenfalls um Dschihad-Rückkehrer. Erst dabei entschieden die Behörden offenbar, gegen die Frauen ebenfalls ein Verfahren zu eröffnen. «Im Rahmen davon sind wohl Erkenntnisse ans Licht gekommen, die eine Festnahme beschleunigt haben.»

Keine Antwort der Bundesanwaltschaft

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Aus den Akten wird klar: Festgenommen wurden die Schwestern erst eineinhalb Jahre nach ihrer Rückkehr aus Syrien. Bundesanwaltschaft und Nachrichtendienst wollten sich zu SRF nicht äussern, weshalb sie so lange unbehelligt blieben.

Für diese komplexen Ermittlungen sei aber grundsätzlich eine Dauer von einigen Jahren normal. Aufgrund der eher geringen Tatschwere sei es wohl kein prioritärer Fall gewesen.

Was passierte mit dem Sohn?

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Der Sohn versuchte etwa ein Jahr nach der Rückkehr erneut, mit seiner zukünftigen Frau in die Türkei und weiter nach Syrien zu reisen – die Pläne gaben sie dann aber auf und kehrten aus der Türkei zurück, zeigen RTS-Recherchen. Er wurde festgenommen und zu 6 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. 2020 erhielt er weitere 6 Monate.

Gab es konkrete Vorbereitungshandlungen? Die Diskussionen über eine geplante Tat schienen gemäss Ahmed Ajil in der Anklageschrift nicht sehr konkret. Hier gehe es um einen Fall der Ausreise ins Gebiet des IS, «also von Vorbereitungshandlungen im Sinne einer Unterstützung des IS». Es sei relativ typisch, dass Personen in diesem Milieu Anschläge diskutierten. Meist bleibe es im Stadium der Rhetorik. «Konkrete Vorbereitungshandlungen können selten bewiesen werden.» In der Westschweiz habe es schon mehrere Fälle gegeben, bei denen sich Personen mit Schweizer Staatsangehörigkeit über Anschläge unterhalten hätten.

Was bedeutet ein dermassen später Prozess für die Angeklagten?

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«Wenn man jemanden zehn Jahre später mit einem Urteil konfrontiert, wo man eventuell noch eine gewisse Zeit verbüssen und hinter Gitter muss, ist das definitiv für die Resozialisierung nicht förderlich», sagt der Terrorismusforscher Ajil. Denn zuvor seien die Personen ja offenbar freigelassen worden, weil von ihnen keine Gefahr ausging. «Diese Entscheidung wurde 2017 getroffen. Wenn man jetzt, sieben Jahre später, noch einmal einen gewissen Teil der Strafe absitzen muss, ist das als Normalbürger nicht wirklich nachvollziehbar, wie förderlich das sein soll.»

Welche Strafe droht den Frauen maximal?

Den Frauen droht eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Der Mutter, die keinen Schweizer Pass besitzt, droht zusätzlich die Ausweisung. Die Anwälte der Angeklagten wurden von SRF kontaktiert und wollten sich vor dem Prozess nicht äussern.

Tagesschau, 30.04.2024, 19:30 Uhr

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