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Psychische Erkrankungen Von Irrenanstalt zu Psychiatrie-Spital – die verrückte Geschichte

Dauerbäder, Fieberkuren und Elektroschocks – normale Psychiatrie-Therapien von früher klingen heute verrückt.

«Verrückt» - diesen Schriftzug sieht, wer am Basler Barfüsserplatz durch die Glastüre das Historische Museum betritt. Wenige Schritte weiter kippen die Buchstaben im Blickfeld, und an derselben Wand steht «normal». Alles ist eine Frage der Perspektive, erst recht in Sachen Psychiatrie.

Ausstellungsraum
Legende: Passend zur unscharfen Grenze zwischen «normal» und «verrückt» sind auch manche Ausstellungsteile bloss mit durchsichtig-durchlässigen Vorhängen abgetrennt. zVg/HMB, Mark Niedermann

In 150 Jahren Basler Psychiatriegeschichte hat sich die Wahrnehmung verändert. «Die Grenze zwischen ‹verrückt› und ‹normal› hat sich im Lauf der Zeit verschoben; die war nicht immer gleich», sagt Gudrun Piller, Kuratorin der Ausstellung.

Von Hysterie zu ADHS

Trotz allen wissenschaftlichen Fortschritten ist schon die Diagnose schwierig. Schliesslich kann man die Psyche nicht unters Mikroskop legen oder röntgen. Man muss sich mit Abklärungen und Tests zu Indizien behelfen.

Früher sah man das anders. Man nahm an, dass einer psychischen Erkrankung ein körperliches Problem zugrunde liegt. Entsprechend suchte man danach.

Syphilis: Vom Körper auf die Psyche

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Sieben Männer stehen breitbeinig in einem Garten und strecken die Hände in die Höhe.
Legende: Die Patientinnen und Patienten mussten teilweise auch zum Turnen antraben. Turnstunde um 1930. HMB/Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Fotoarchiv

Zusammenhänge zwischen körperlichen und psychischen Krankheiten wurden zu Beginn der Psychiatriegeschichte zwar überschätzt. Dennoch gibt es sie tatsächlich.

Zum Beispiel zerstört die Geschlechtskrankheit Syphilis in einem späten Stadium das Zentralnervensystem. «Sehr viele Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie waren eigentlich syphilis-krank», sagt Kuratorin Gudrun Piller. «Sie wurden dort betreut in ihren letzten Jahren, weil ihr Gehirn sich quasi auflöste.»

Heute ist ein Bakterium als Syphilis-Auslöser bekannt und die Krankheit mit Antibiotika heilbar. Schwere Verläufe sind entsprechend selten.

Manche früheren Diagnosen muten heute seltsam an, etwa Hysterie. Umgekehrt werden heute neue Krankheitsbilder beschrieben Flugangst, Messie-Syndrom, Kaufsucht oder ADHS. Für 30 Diagnosen hat das Museum je eine Schublade eingerichtet, mit Texten, Bildern oder passenden Gegenständen.

Opium gegen Depression

Behandlungsmethoden – denen die Ausstellung viel Platz gibt – waren zu Beginn der Psychiatriegeschichte oft behelfsmässig. Nur wenige Medikamente waren greifbar, neben Schlafmitteln zum Beispiel Opium gegen Depressionen. Die Freud'sche Psychotherapie gelangte kaum in eine «Anstalt».

Der therapeutischen Ohnmacht war sich die Psychiatrie bewusst. Zwangsmittel waren deshalb über viele Jahre nicht selten.

Badewannen
Legende: Stark erregte Kranke wurden ab 1902 zur Beruhigung teils für längere Zeit in Badewannen gelegt. Das sogenannte «Dauerbad» in der Klinik auf einer Aufnahme um 1930. HMB/Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Fotoarchiv

Dekaden später kamen Schlafkuren dazu sowie Fieberkuren mittels Malaria-Erregern. Man begann mit körperlichen Schockzuständen zu arbeiten. Dafür kamen Insulin, Epilepsieauslöser oder Strom zum Einsatz. Vereinzelt kam es ab 1946 zu chirurgischen Eingriffen am Gehirn.

Schlüsselbund mit Warn-Trillerpfeife
Legende: Symptomatisch für den Umgang mit psychisch Kranken war die Trillerpfeife am Schlüsselbund des Anstaltspersonals. Damit konnte man rasch Alarm schlagen und Verstärkung rufen. Historisches Museum Basel, Natascha Jansen

Ab den 1950er-Jahren arbeitete man vermehrt mit verschiedenen Psychotherapien. Zudem brachten neue Medikamente Fortschritte und auch mehr Ruhe in die Klinik.

Behandlungsraum um 1930
Legende: Auch mit Rauschmitteln wurde ab den 1960er-Jahren experimentiert. Auf dem Bild ist ein Behandlungsraum um 1930 zu sehen. HMB/Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Fotoarchiv

Körperliche Methoden verschwanden indes nicht ganz, sondern werden teils verfeinert bis heute angewendet. Dazu gehören beispielsweise Elektro-Impulse bei schweren Depressionen.

Die «Irrenanstalt» wird zur psychiatrischen Klinik

Stark verwandelt hat sich vor allem der Blick auf psychisch kranke Menschen. Neben den veränderten Therapien kann man ihn an baulichen Veränderungen ablesen.

Fenstergitter werden demontiert
Legende: 1960 wurde die Basler «Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt» in «Psychiatrische Universitätsklinik (PUK)» umbenannt. In dieser Zeit demontierte man teils die Gitter vor den Fenstern. HMB/Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Fotoarchiv

Die früheren «Irrenanstalten» war draussen, weg von städtischen Ablenkungen. Inzwischen sind psychiatrische Kliniken oft mitten in der Stadt. Das passt dazu, wie man psychisch Kranke heutzutage sieht: Sie gehören zur Gesellschaft, genauso wie das Bewusstsein, dass psychische Krankheiten verbreitet sind.

Wie wir mit dem Zwang umgehen, war immer eine der grossen Herausforderungen der Psychiatrie.
Autor: Gudrun Piller Kuratorin am Historischen Museum Basel HMB

Die Geschichte der Psychiatrie sei keine Entwicklung vom Neandertal zum Paradies, sagt die Kuratorin Gudrun Piller: «Es gab zu jeder Zeit die Frage, wie wir mit dem Zwang umgehen. Das war von den Anfängen bis heute eine der grossen Herausforderungen der Psychiatrie.»

Ihr sei sehr wichtig, dies in der Ausstellung differenziert zu betrachten. Die Ausstellung «Verrückt normal» im Historischen Museum Basel in der Innenstadt ist noch bis im Sommer 2025 offen.

Regionaljournal Basel Baselland, 05.11.24 17:30 Uhr ; 

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