Das ist die Ausgangslage: Daten des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigen, dass noch nie so viele Mädchen oder Frauen ihren Lehrvertrag vorzeitig aufgelöst haben. Im Jahr 2023 waren es namentlich 22 Prozent. Im Jahr 2018 waren es noch 18 Prozent. In einer Studie des Zentrums Arbeit und psychische Gesundheit (Workmed) in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) vom 16. Juni 2025 ist ersichtlich, dass sich die Gründe für eine Lehrvertragsauflösung bei den weiblichen und männlichen Lernenden unterscheiden. Der «Tagesanzeiger» hat zuerst darüber berichtet. Doch woran liegt der Anstieg bei den jungen Frauen?
Das sind die häufigsten Gründe bei Frauen: Laut der Workmed-Studie geben doppelt so viele weibliche wie männliche Lernende (30 vs. 15 Prozent) an, dass psychische Probleme Gründe für die Auflösung gewesen sind. Und es zeigt sich ein weiterer Unterschied zwischen den Geschlechtern: «Während sich weibliche Lernende stärker unter Druck setzen (68 vs. 54 Prozent), haben männliche Jugendliche häufig ein mangelndes Interesse am Beruf», schreibt Barbara Schmocker, Fachleiterin des Bereichs Ausbildung bei Workmed und Mitautorin der Studie, auf Anfrage von SRF.
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Markus Neuenschwander ist Co-Leiter des Zentrums Lernen und Sozialisation an der Pädagogischen Hochschule FHNW und beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Lehrvertragsauflösungen. Er sagt: «Beziehungskonflikte im Betrieb, in der Schule und privat spielen oft eine wichtige Rolle beim Entstehen von psychischen Problemen. Dies gilt möglicherweise verstärkt für junge Frauen.» Wenn also die Beziehung mit der Berufsbildnerin oder dem Berufsbildner nicht gut sei, würden eher psychische Probleme entstehen. Neuenschwander fügt hinzu, dass daher die Arbeit an einer guten Beziehung und konstruktive Rückmeldungen wichtige Aufgaben seien – sowohl von Berufsbildenden als auch von den Lernenden.
Junge Frauen, die sich tendenziell zu wenig zutrauen, brauchen andere Formen der Stärkung als junge Männer, die ihre Überforderung vielleicht eher verdrängen.
Das zeigt der geschlechtsspezifische Unterschied: Der Umgang mit Belastung scheint geschlechtsspezifisch geprägt zu sein. Es sei daher nicht zielführend, alle Lernenden gleich zu behandeln, so Barbara Schmocker. Vielmehr brauche es differenzierte Zugänge, die individuellen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Konkret heisst das: «Junge Frauen, die sich tendenziell zu wenig zutrauen (37 vs. 24 Prozent), brauchen andere Formen der Stärkung als junge Männer, die ihre Überforderung vielleicht eher verdrängen oder andere Kanäle finden, Druck abzubauen.»
Das hält junge Frauen von der Vertragsauflösung ab: Aus der Workmed-Studie geht hervor, dass weibliche Lernende häufiger über eine vorzeitige Beendigung nachdenken als männliche Lernende (57 vs. 47 Prozent). Doch was hält sie von einer Lehrvertragsauflösung ab? Weibliche Lernende berichten laut Workmed-Studie, dass sie die Bestärkung aus dem sozialen Umfeld motiviert hat, weiterzumachen. Das sei erfreulich, sagt Barbara Schmocker. Doch die Gründe, warum Lernende ihren Lehrvertrag nicht auflösen, unterscheide sich nicht nur in Bezug auf das Geschlecht – sondern auch auf die erlebte Selbstwirksamkeit, also die innere Überzeugung, herausfordernde Situationen meistern zu können. Das soziale Umfeld übe nämlich bei Lernenden mit einem tieferen Selbstwirksamkeitsgefühl einen höheren Einfluss aus, als bei Lernenden mit einer hohen Selbstwirksamkeit.