Zum ersten Mal seit Februar hat sich Jean-Claude Juncker öffentlich zu den Verhandlungen mit der Schweiz geäussert. Im Interview mit dem Westschweizer Fernsehen RTS gab der Präsident der EU-Kommission gestern – wieder einmal – zu verstehen, dass er das Rahmenabkommen so rasch wie möglich unter Dach und Fach bringen will. Der Idee von Bundesrat Ignazio Cassis eines «Rahmenabkommens light» erteilte er eine Abfuhr.
Dass Juncker sich ausgerechnet gestern zu Wort meldete, ist natürlich kein Zufall. Heute sollte der Bundesrat – wieder einmal – über das Verhältnis zur EU beraten, hat Entscheide aber – wieder einmal – aufgeschoben. Und Junckers Aussagen waren wohl vor allem an die Mitglieder der Landesregierung gerichtet: Macht vorwärts. Schliesst das Abkommen jetzt ab, solange ich noch Kommissionspräsident bin. Mit meinem Nachfolger wird es noch schwieriger, einen guten Deal zu machen.
Das Interview ist ein kaum verhohlener Druckversuch Junckers. Zwischen den Zeilen lässt Juncker freilich erkennen, dass er selbst unter Druck steht:
- Er weist darauf hin, dass seine Amtszeit im Herbst 2019 zu Ende geht. Nach Jahren voller Krisen und vieler Misserfolge kann Juncker jeden Verhandlungserfolg brauchen, um seine Amtsbilanz aufzuhübschen.
- Umso mehr, als ihm auch die EU-Mitgliedstaaten im Nacken sitzen. Nach vier Jahren zäher Verhandlungen mit der Schweiz erwarten sie endlich ein Resultat. Schliesslich verhandelt Juncker – auch darauf weist er im Interview hin – im Auftrag der 28 EU-Staaten.
- Noch wichtiger als das Rahmabkommen mit der Schweiz ist für Juncker der Brexit-Deal mit Grossbritannien. Mit einem guten Deal kann er glänzen, ohne Deal schlittert die EU in die nächste Krise. Juncker fürchtet, dass die Briten ihn als schwachen Verhandler sähen, würde er den Schweizern weit entgegen kommen. Ein Zusammenhang, den Juncker lange geleugnet hat und den er jetzt zumindest andeutet.
- Die EU hat zwar einen schier unerschöpflichen Köcher mit Pfeilen, die sie gegen die Schweiz schiessen kann. Zum Beispiel, indem sie den Aktienhändlern aus der EU den Zugang zur Schweizer Börse erschwert. Mit solchen Pfeilen kann sie die Schweiz tatsächlich schwer treffen, sie droht sich aber auch ins eigene Bein zu schiessen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Bundesrat zuwartet und mit Junckers Kommission kein Rahmenabkommen abschliesst, ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Denn neben dem alten Widerstand der SVP gegen das Rahmenabkommen, gibt es neuen Widerstand von der SP und den Gewerkschaften.
Zuwarten hiesse vor allem: Den Deal abwarten, den die EU mit Grossbritannien abschliessen wird (oder auch nicht). Darauf hoffen, dass die Briten für die Zeit nach dem Brexit mehr herausholen als das, was die Schweizer bislang mit der EU ausgehandelt haben. Und darauf hoffen, dass die Schweizer dann das Gleiche bekommen.
Bisher macht die EU zwar keinerlei Anstalten, den Briten mehr entgegen zu kommen als den Schweizern. Doch die Verhandlungen haben erst begonnen, und sie dürften sich über viele Jahre hinziehen.
Sicher ist nur: Jean-Claude Juncker ist bald nicht mehr mit von der Partie. Deshalb setzt er die Schweiz unter Druck, aber auch sich selbst. Denn er will das Rahmenabkommen unbedingt: Es wäre ein kleiner Erfolg am Ende einer von Misserfolgen geprägten Amtszeit.
(Sendebezug 10vor10, 13.09.2018)