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Rituelle Gewalt/Mind-Control Satan-Verschwörerinnen therapieren in Bern weiter

Mehrere Anhängerinnen arbeiten an der Tagesklinik «Les Toises» in Bern. Sie behandeln angebliche Opfer von Satanisten.

Die Verschwörungserzählung rund um satanistische Rituale und Gedankenprogrammierung von Frauen kursierte jahrelang am Psychiatriezentrum Münsingen .

Der Kanton Bern liess die Vorgänge untersuchen, nachdem SRF die Missstände aufgedeckt hatte. Im Expertenbericht ist die Rede von «schädlichen» Therapien und einem «Irrglauben». Die Klinik muss die Mitarbeitenden nachschulen, damit keine solchen Behandlungen mehr stattfinden.

Neuer Verschwörungs-Hotspot in Bern

Nun zeigen Recherchen von SRF Investigativ: Die Fehlbehandlungen gehen offenbar weiter – an einem neuen Ort. Mehrere Personen bestätigen, die Verschwörungserzählung werde am privaten Zentrum für Psychotherapie «Les Toises» in Bern verbreitet.

Ein Insider, der anonym bleiben will, sagt:

Das Zentrum «Les Toises» in Bern ist der neue Hotspot der Verschwörungstheorie. Das Problem hat sich aus dem Psychiatriezentrum Münsingen hierher verlagert.
Autor: Insider

Zwei Psychologinnen und eine Ärztin, die an die Verschwörungserzählung glauben und angebliche Opfer therapieren, haben kürzlich vom Psychiatriezentrum Münsingen ans Zentrum «Les Toises» gewechselt. Einige ihrer Patientinnen haben sie mitgenommen – darunter auch Frauen, die wegen angeblicher Gedankenprogrammierung bei ihnen in Therapie sind.

Klinik les Toises in Bern
Legende: Am Zentrum «Les Toises» in Bern therapieren Anhängerinnen der Verschwörungserzählung. SRF/Sonja Mühlemann

Eine dieser Patientinnen sagt gegenüber SRF Investigativ: «Meine Therapeutin war vorher am Psychiatriezentrum in Münsingen. Als sie die Stelle wechselte, hat sie mich gefragt, ob ich mit ihr gehe.»

Was ist «Satanic Panic»?

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Unter dem Begriff «Satanic Panic» tauchte der Glaube an satanistische Gewaltrituale bereits in den 1980er-Jahren in den USA auf. Diese Verschwörungserzählung verbreitete sich, weil plötzlich viele Betroffene berichteten, sie seien von satanistischen Täterkreisen missbraucht worden.

Diese nachweislich falschen Erinnerungen kamen meistens im Zuge von Traumatherapien zum Vorschein.  
«rec.» deckte im Dezember 2021 auf, dass dieser Glaube auch in der Schweiz verbreitet ist.

Der Religions- und Sektenexperte Georg Otto Schmid erklärt in der Reportage, die Bewegung«QAnon» sei eine Übersteigerung der Verschwörungserzählung der rituellen Gewalt. Beweise für solche Zirkel und Rituale konnten nie erbracht werden.

Frank Urbaniok, renommierter forensischer Psychiater, erklärt  in der Reportage «Jetzt reden die Opfer» : «Keine Frage: Es gibt schwerste, grausamste Formen von sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch. Was es nach jetzigem Kenntnisstand nicht gibt, sind organisierte Zirkel, die im Hintergrund eine satanistische Unterwelt organisieren, in der dann Kinder missbraucht und programmiert werden. Das gibt es nicht, da gibt es keinerlei Belege dafür.»

Die Patientin will anonym bleiben, sie glaubt an die Verschwörungserzählung. Sie habe mehrere Persönlichkeiten und Teile dieser seien satanistischen Tätern hörig. Sie mache, was die Täter befehlen. Und: Sie sei von ihrer Therapeutin abhängig, sie sei die Einzige, der sie vertraue:

Sie fängt mich auf. Ich habe Mühe Menschen zu vertrauen, ich habe das Gefühl, dass jeder ein Täter ist, dass ich nicht sicher bin.
Autor: Patientin

Was sagen Experten zu den Vorgängen? Diese Abhängigkeit von Therapeuten  sei typisch für die Verschwörungserzählung rund um rituellen Missbrauch und Gedankenprogrammierung, sagt der bekannte Schweizer Psychiater Frank Urbaniok.

Frank Urbaniok
Legende: Die Patientinnen würden durch die Therapie kränker statt gesünder, sagt Psychiater Frank Urbaniok. Keystone/Walter Bieri

Die Patientinnen würden in ihrer Not der Therapeutin alles glauben:

Die Therapeutinnen erzeugen eine Erinnerung, die es vorher nicht gegeben hat und für die die reale Grundlage fehlt. Das sind klare Behandlungsfehler.
Autor: Frank Urbaniok Psychiater

Die Patientinnen würden kränker statt gesünder, so Urbaniok.

Mehrere Personen begingen Suizid

So steht es auch im Untersuchungsbericht des Kantons Bern zum Psychiatriezentrum Münsingen. Laut Recherchen von SRF wurden rund 20 Personen wegen der Verschwörungserzählung behandelt. Drei von ihnen haben sich mittlerweile das Leben genommen, ein Zusammenhang mit der Therapie ist nicht bewiesen. Die Mehrheit der «Überlebenden kämpft nach wie vor um ihre Gesundheit», steht im Bericht weiter.

Abgrenzung zu tatsächlichen Gewaltopfern

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Nicht umstritten ist, dass Menschen in der Schweiz Opfer von schwerstem sexuellen Missbrauch werden und organisierte Tätergruppen Menschenhandel und Zwangsprostitution betreiben. Die Opfer leiden ein Leben lang unter den Folgen, sind schwer traumatisiert, benötigen Hilfe, so Psychiater Frank Urbaniok. Sie würden aber nicht aus einer Ideologie heraus missbraucht, so Urbaniok. Bei der Verschwörungserzählung sei genau dies eines der Kernelemente – dass angeblich satanistische Täter Frauen in Ritualen missbrauchten.

 

Auf Anfrage teilt die Gesundheitsdirektion des Kantons Bern mit, dass gegen drei Gesundheitsfachpersonen im Kanton Bern Anzeigen im Zusammenhang mit Therapien wegen Verschwörungserzählung eingegangen seien.

Psychiatrie
Legende: Die Mehrheit der «Überlebenden» der umstrittenen Behandlung kämpft nach wie vor um ihre Gesundheit. Colourbox

Ob es sich dabei um die Therapeutinnen von «Les Toises» handelt, ist nicht klar. Da Abklärungen laufen, macht der Kanton Bern keine weiteren Angaben.

Psychiatriezentrum weist Vorwürfe zurück

Das Zentrum «Les Toises» widerspricht den Vorwürfen, es gebe keine derartigen Therapien:

«Wir behandeln nicht wegen satanistisch-ritueller Gewalt oder Mind-Control. In einer ambulanten Therapie geht es darum, dass der Patient sein Leben wieder selbst führen und kontrollieren kann», sagt die ärztliche Direktorin Franziska Gamma. Weiter würde man Supervisionen machen, um die Qualität der Behandlung und Therapien sicherzustellen.

Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 16.2.2023, 6.31 Uhr

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