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Schweiz am G20-Gipfel «Ueli Maurers Besuch in Riad hat sich gelohnt»

Die Einladung Saudi-Arabiens, die Schweiz möge am G20-Gipfel im November 2020 teilnehmen, ist wohl auch auf die viel kritisierte Reise von Bundespräsident Ueli Maurers nach Riad zurückzuführen. Grund für den Unmut war die mögliche Verwicklung der saudischen Staatsführung in den Mord am regimekritischen Journalisten Jamal Kashoggi.

Für die Schweiz könnte die Teilnahme am G20-Gipfel im November 2020 durchaus von Vorteil sein, sagt der frühere Schweizer Diplomat Paul Widmer.

Paul Widmer

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Widmer war Schweizer Botschafter in Jordanien und Kroatien und sass für die Schweiz im Europarat. Heute lehrt er Internationale Beziehungen an der Hochschule St. Gallen.

SRF News: Wie wichtig ist es für die Schweiz, am G20-Treffen nächstes Jahr dabei zu sein?

Paul Widmer: Für die Schweiz ist die Teilnahme sehr wichtig. Sie hat sich schon immer um die internationalen Finanzthemen bemüht. Auch sind wir ein grosser Akteur in Finanzfragen. Noch besser wäre es natürlich, wenn man bei den G20 mitentscheiden könnte. Doch bereits die Teilnahme an insgesamt mehr als 100 Treffen bis zum Gipfel im November ist etwas Wichtiges. Die Schweizer Diplomaten müssen versuchen, die anderen von ihren Argumenten zu überzeugen.

Ueli Maurers Saudi-Arabien-Besuch war stark kritisiert worden. Hat er sich mit der Einladung zum G20-Gipfel nun doch gelohnt?

Die Welt ist, wie sie ist – und wir müssen darin leben. Dabei ist es wichtig, nicht immer bloss auf einer einzigen Schiene zu fahren. Die Schweiz hat nach dem Mord an Kashoggi protestiert und Sanktionen erlassen.

Die Schweiz geht nicht wegen Saudi-Arabien nach Riad, sondern wegen den G20.

Gleichzeitig müssen wir aber auch unsere Beziehungen ausbauen, wozu wir jetzt die beste Möglichkeit erhalten. Die Schweiz geht ja nicht bloss wegen Saudi-Arabien nach Riad, sondern wegen den G20. Deshalb hat sich Maurers Besuch eindeutig gelohnt.

Maurer stehend im Gespräch mit Schweizer und saudischen Diplomaten.
Legende: Ueli Maurer hat Riad letztmals Ende vergangenen Oktober besucht. Das Bild oben stammt von einem früheren Besuch im Februar 2018. Keystone

Sie haben in einem anderen Interview gesagt, man dürfe bei Saudi-Arabien nicht beide Augen zudrücken, das Land sei gefährlicher als Iran. Wie löst man das Dilemma des G20-Treffens in Saudi-Arabien?

Im Nahen Osten besteht zwischen Saudi-Arabien und Iran eine Rivalität um die regionale Vormacht – und ich halte Riad tatsächlich für gefährlicher als Teheran. Trotzdem müssen wir die Beziehungen pflegen, auch wenn das schwierig ist. So hat die Schweiz die diplomatischen Beziehungen mit Saudi-Arabien mit dem Besuch von Staatssekretärin Pascale Baeriswyl weitergepflegt. Zugleich muss die Schweiz aber auch ihre eigenen Interessen wahrnehmen.

Können Sie nachvollziehen, wenn kritisiert wird, die Schweiz sei mit diesem Vorgehen nicht mehr glaubwürdig?

Ja. Die Glaubwürdigkeit ist immer dann am grössten, wenn man immer so handelt, wie man spricht. Dabei gibt es aber immer zwei Akteure. Deshalb kann man nicht immer alles genau so durchführen, wie man es aufgrund der eigenen Überzeugung gerne möchte.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Es drohen riesige Steuerausfälle

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Aus Schweizer Sicht wichtigstes Thema im Rahmen der G20-Beratungen im nächsten Jahr sind die Unternehmenssteuer-Pläne der OECD . Demnach sollen künftig alle Länder, in denen grosse Konzerne ihre Güter oder Dienstleistungen verkaufen, einen Teil des dort erzielten Gewinns abschöpfen können. Zudem soll für Grosskonzerne ein globaler Mindeststeuersatz eingeführt werden. Wenn dieser nicht erreicht wird, soll das Sitzland des Konzerns die Differenz zum Mindeststeuersatz aufrechnen können.

Von der Reform werden vor allem grosse Länder profitieren. Sie waren es, die das Projekt massgeblich vorangetrieben haben. Verlierer werden eher kleine Länder wie etwa die Schweiz und Irland sein. Sie lockten bislang mit niedrigen Gewinnsteuern überdurchschnittlich viele internationale Konzerne an und profitierten von deren Gewinnsteuern. Unter die neuen Regeln könnten aber auch Schweizer Konzerne fallen: Etwa Pharmamultis wie Novartis oder Roche, die in der Schweiz nur wenige Prozent des globalen Umsatzes erzielen, hierzulande aber bis zu 40 Prozent ihrer Gewinnsteuern bezahlen.

Angesichts dieser Aussichten rechnet der Bund mit Steuerausfällen in Höhe von bis zu mehreren Milliarden Franken pro Jahr. Ob die Pläne der OECD unverändert durchkommen, wird massgeblich von den G20 entschieden – und da soll die Schweiz bei den jetzt anstehenden Arbeitstreffen sowie am Gipfel vom November 2020 in Riad mit dabei sein. Allerdings hat Bern kein Stimmrecht.

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