Geht es nach Bundesrat Alain Berset, wird die schweizerische Altersvorsorge umfassend reformiert. Im nächsten Jahr kommt die Vorlage ins Parlament. Dänemark ist diesbezüglich der Schweiz voraus, das Land hat bereits einschneidende Reformen beschlossen, wie Jérôme Cosandey von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse beobachtet: «Dänemark hat entschieden, das Rentenalter vorab auf 67 Jahre zu erhöhen. Es wird dann systematisch an die Lebenserwartung gekoppelt.» Der Vorteil sei, dass die Politik die Spielregeln definiere. Und die Entscheide könnten nachher nicht rückgängig gemacht werden.
Keine wirkliche Entpolitisierung
Auch Silja Häusermann, Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Zürich, kann dem dänischen Modell Gutes abgewinnen: ein solcher Automatismus habe Vorteile. Er versachliche die politische Debatte über Vorsorgereformen: «Man geht davon aus, dass sich die politischen Akteure eher auf ein generelles Prinzip einigen können.» Es handle sich aber nicht um eine Entpolitisierung, denn der Verteilkampf finde trotzdem statt. Nämlich in dem Moment, in dem das Prinzip festgelegt werde.
Das heisst mit Blick auf das Modell, das Dänemark gewählt hat: «Es geht um eine Kopplung der Lebenserwartung an die Rentenhöhe. Die Lebenserwartung ist aber für verschiedene soziale Gruppen extrem unterschiedlich.»
Ob Frauen danach länger arbeiten müssten, weil sie älter würden, oder ob die Leistungen der in stark körperlich belasteteten Arbeiter nicht gekürzt würden, weil sie eine kürzere Lebenserwartung hätten als die gebildetere Schichten, fragt sie.
An dieser Diskussion hat sich die dänische Politik nicht aufgerieben, im Gegenteil. Sie hat 2006 beschlossen, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Dass das der dänischen Politik gelungen ist, trotz Verteilkämpfen, dürfte vor allem damit zu tun haben, dass sich Dänemark bewusst viel Zeit für die Umsetzung nimmt. Statt schon ab 2006 wird die Reform erst ab 2027 umgesetzt werden, 20 Jahre nach dem Grundsatzentscheid. Ab dann kann das Rentenalter sowohl steigen als auch sinken, je nach Lebenserwartung.
Dass eine Vorsorge-Reform erst in ferner Zukunft greift, findet die Zürcher Professorin Häusermann aus demokratischer Sicht allerdings problematisch: «Das sieht man in sehr vielen Ländern. Rentenreformen gelingen dann, wenn diejenigen, die die Kürzungen beschliessen, gar nicht betroffen sind».
Automatismen sind in Mode
Neben Dänemark greift eine ganze Reihe von weiteren Industrieländern bei der Reform ihrer Altersvorsorge vermehrt auf Automatismen zurück. So können quasi schleichend das Rentenalter angehoben oder Renten gekürzt werden, um die Vorsorge finanziell wieder ins Lot zu bringen.
In der Schweiz ist das anders: Bundesrat Alain Berset lässt in seinem jetzigen Reform-Paket die Finger davon, auf Umwegen das Rentenalter auf über 65 Jahre hinaus anzuheben. Wohl im Wissen, dass ein solches Vorhaben in der Schweiz spätestens an der Urne Schiffbruch erleiden würde. Für die beiden Experten Häusermann und Cosandey ist allerdings klar: Früher oder später wird der Bundesrat auch dieses Tabu brechen müssen. «Langfristig müssen wir über eine Erhöhung des Rentenalters diskutieren. Wir können nicht immer älter werden und trotzdem mit 65 aufhören zu arbeiten.»
Ob das Rentenalter an die Lebenserwartung gekoppelt wird oder ob die Schweiz einen anderen Weg wählen wird, ist offen. Noch schiebt die Schweiz diese brisante Diskussion auf die lange Bank und hofft, dass wenigstens die Berset-Reform 2020 gelingen wird.