Zum Inhalt springen
Menschen auf Stühlen, daneben ein Wärter
Legende: Asylbewerber-Empfangsstelle Chiasso: Künftige Durchgangsstation für den Schweizer Arbeitsmarkt? Keystone

Schweiz Flüchtlinge am Tor zum Job-Markt

Eine der höchsten Schutzquoten für Asylsuchende kann die Schweiz aufweisen. Auf die wachsende Zahl von Migranten haben Personalvermittlungs-Firmen ein Auge geworfen. Der Bauernverband startet jetzt ein Pilotprojekt zur Integration von Flüchtlingen.

Die Schweiz gewährt Asylsuchenden Schutz wie kaum ein anderes Land in Europa: Letztes Jahr war das in 71 Prozent der Gesuche der Fall, die das Staatssekretariat für Migration (SEM) behandelte. Das gehe aus einer Statistik der EU-Behörde Eurostat hervor, berichtet die «NZZ am Sonntag».

In den meisten anderen Ländern Europas war die Schutzquote für Asylsuchende deutlich tiefer. In Italien etwa lag sie letztes Jahr bei 59 Prozent, in Deutschland bei 42 Prozent und in Frankreich bei 22 Prozent. Höhere Quoten als die Schweiz verzeichneten nach Angaben der Zeitung nur Schweden, Malta, Bulgarien und Zypern.

2014: Aufenthaltsrecht für über 15'000 Menschen

Rund 15'500 Asylsuchende erhielten letztes Jahr in der Schweiz ein Aufenthaltsrecht, so die «NZZ am Sonntag». In Italien seien es nur wenig mehr gewesen, in Frankreich und Grossbritannien sogar weniger. Einzig Deutschland und Schweden verzeichneten deutlich mehr Schutzgewährungen.

In fast zwei Dritteln der Fälle gewährte die Schweiz den Asylsuchenden nur vorübergehend Schutz. So lehnte das SEM 2014 rund 9400 Gesuche ab, weil es bei den Betroffenen keine Asylgründe erkannte.

Von Ausschaffung abgesehen

Dieses habe von der Ausschaffung aber abgesehen und den Bewebern eine sogenannte vorläufige Aufnahme erteilt. In rund 2700 Fällen geschah das, weil in den Herkunftsländern der Gesuchsteller Bürgerkriege herrschen oder Menschenrechtsverletzungen begangen werden, so die Zeitung weiter.

Und in rund 6700 Fällen, weil die abgewiesenen Asylsuchenden aus Gesundheits- oder Altersgründen nicht aus der Schweiz ausgeschafft werden konnten. Gemäss Eurostat sei diese Zahl im europäischen Vergleich besonders gross; nur in Italien liege sie höher.

Personalvermittler: Abbau von Hürden

Auf diese Entwicklung bei den Asylbewerber-Zahlen haben nun auch Personalvermittler ein Auge geworfen, berichtet die «Schweiz am Sonntag». Job-Vermarkter fordern unter anderem einen Abbau rechtlicher Hürden.

Denn viele Flüchtlinge, die in die Schweiz kommen, verfügen über eine Ausbildung und Berufserfahrung. Dies zeigten Zahlen einer internen Erhebung des Staatssekretariats für Migration.

Mehr zum Thema

Universität, Fachschule, Gymnasium

Im Rahmen des Pilotprojekts «Potenziale nutzen – Nachholbildung» seien 423 Personen mit einem frischen Asylentscheid beziehungsweise einer vorläufigen Aufnahme über Ausbildung und berufliche Erfahrung befragt worden. Dabei habe sich herausgestellt, dass «mehr als die Hälfte der Flüchtlinge über mehrjährige Berufserfahrung verfügen», schreibt die Zeitung.

Sieben Prozent der Flüchtlinge könnten gar einen Universitätsabschluss vorweisen. Weitere zwei Prozent hätten an einer Fachschule studiert. Und einer von zehn Befragten habe «zudem entweder ein Gymnasium besucht oder einen Beruf erlernt».

«Realistisches Bild»

Obwohl sich die Zusammensetzung der ankommenden Flüchtlinge laufend verändert, gehe das Staatssekretariat für Migration davon aus, dass «die Ergebnisse ihrer internen Recherche ein realistisches Bild zeichnen».

Dieses Potenzial wollen Personalvermittler in Europa nun besser nutzen. In Deutschland etwa fordern Arbeitgeber laut dem Zeitungsbericht, Flüchtlinge «schneller und unkomplizierter in den Arbeitsmarkt zu integrieren».

Ich begrüsse jede Möglichkeit den Talentpool zu vergrössern
Autor: Patrick Maier Chef der Schweizer Niederlassung des Personalvermittlers Manpower

Auch in der Schweiz werden nun Stimmen lauter, die in diese Richtung gehen. Patrick Maier, Chef der Schweizer Niederlassung des Personalvermittlers Manpower erklärte gegenüber «Schweiz am Sonntag»: «Ich begrüsse jede Möglichkeit den Talentpool zu vergrössern. Dazu gehört auch den Zugang für Menschen zu verbessern, die erst seit kurzem in der Schweiz sind».

Denn die Integration von Flüchtlingen könne nicht nur den Fachkräftemangel lindern, sondern auch die Sozialhilfe entlasten. Schliesslich beziehen über 80 Prozent der Asylsuchenden Sozialhilfe, berichtet die Zeitung unter Berufung auf das Bundesamt für Statistik.

Pilotprojekt in der Landwirtschaft

Ein Wirtschaftszweig hat bereits die Fühler nach Flüchtlingen als mögliche Arbeitskräfte ausgestreckt: Die Landwirtschaft. Der Schweizer Bauernverband und das Staatssekretariat für Migration planen, vorläufig aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge in die Landwirtschaft zu integrieren.

Am kommenden Mittwoch soll ein Pilotprojekt auf dem Hof der Familie Eschbach in Füllinsdorf/BL vorgestellt werden, dass in diese Richtung weist. Bauer Andreas Eschbach stelle schon seit über 20 Jahren Flüchtlinge an. Nun soll der Pionier als «nationaler Botschafter für das Anliegen des Bauernverbands werben».

Reaktion auf drohende Kontingentierung

Hintergrund des Projekts ist die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, welche verlangt, dass bei Neuanstellungen zuerst das «Inländerpotential» ausgeschöpft wird. Darunter fallen auch Flüchtlinge, sofern sie anerkannt oder vorläufig aufgenommen sind.

Der Bauernverband reagiert mit dem Projekt auch auf die drohende Kontingentierung, weil er befürchte, «dass die Nachfrage von Arbeitskräften künftig nicht mehr gedeckt werden kann».

Meistgelesene Artikel