SRF News: Es wird immer mehr Geld in den Hochwasserschutz investiert. Dennoch steigen die Hochwasserschäden in der Schweiz jährlich. Weshalb ist das so?
Josef Hess: Zum einen entwickelt sich unser Lebens- und Wirtschaftsraum weiter. Es wird jedes Jahr rund ein Prozent zusätzliche Bausubstanz geschaffen, die gefährdet sein könnte. Zum anderen stellen wir immer mehr die Effekte der Klimaveränderung fest, die zu häufigeren und heftigeren Niederschlägen führen. Das schlägt sich dann in zusätzlichen und grösseren Hochwassern nieder.
Die Arbeiten, die Sie im Hochwasserschutz zu bewältigen haben, werden also immer grösser. Wo besteht noch Potential, um die Schäden zu begrenzen?
Die Schweiz war eines der ersten Länder, in denen ein integraler Umgang mit den Naturgefahren praktiziert wurde.
Es gibt verschiedenen Möglichkeiten: Wir müssen unsere Anstrengungen am Ausbau der Gewässer fortsetzen. Das heisst, wir müssen weitere Gewässerverbauungen machen. Wir müssen aber auch heute bereits bestehende Gewässerverbauungen erneuern, weil sie schon hundert Jahre alt sind. Und es gilt auch, den Gewässern in Zukunft wieder mehr Raum zu lassen, um bessere Abflussverhältnisse zu schaffen und damit sich die Natur entlang der Gewässer wieder entwickeln kann.
Am Kongress «Inter Prevent» nehmen Personen aus verschiedenen europäischen Ländern und auch aus Asien teil. Was kann die Schweiz mit Blick auf Naturgefahren anderen Ländern lehren?
Die Schweiz war wohlmöglich eines der ersten Länder, in denen ein gesamtheitlicher, sogenannt «integraler» Umgang mit den Naturgefahren entwickelt und praktiziert wurde. Das heisst, man versucht die Gefahren nicht nur mit technischen Massnahmen einzudämmen, sondern man bezieht auch raumplanerische Massnahmen sowie Vorhersage- und Warnsysteme mit ein. So kann die Sicherheit für die Bevölkerung auch dort erhöht werden, wo man mit technischen Verbauungen zu wenig Schutz schaffen kann. Teil des Systems ist auch unser gut entwickeltes Versicherungswesen, das dann zum Tragen kommt, wenn es zu Schäden gekommen ist und diese behoben werden müssen.
Am Kongress bietet die Schweiz interessierten Teilnehmern eine Exkursion an den Vierwaldstättersee an. In der Nähe von Buochs im Kanton Nidwalden besuchen diese ein Beispiel von sogenannt «integralem Risikomanagement».
Ja. Dort hat man die Gewässer ausgebaut, so gut dies die Platzverhältnisse erlaubten. Für die Situationen, in denen diese Massnahmen nicht ausreichen, hat man zusätzliche Abflussmöglichkeiten über eine Geländekammer, die sonst als Wiese genutzt wird, geschaffen. Das heisst, man lässt da gewisse Schäden zu, damit das Wasser abfliessen kann, ohne im Dorf Schäden anzurichten. Auch wurde ein Hochwasservorhersagesystem mit einer Notfallplanung geschaffen. Schliesslich hat man eine Gefahrenkarte erstellt und diese konsequent in die Zonenplanung umgesetzt, so dass in der Gegend keine neuen Bauten mehr entstehen, die anfällig auf Hochwasserwirkungen sind.
Das Gespräch führte Marc Allemann.