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Schweiz wird zum Transitland Wieso die Schweiz Migranten passieren lässt

Bis zu 100 Migranten passieren täglich die Schweizer Ostgrenze. Sie müssten zurück nach Österreich, ziehen aber weiter.

Im St. Gallischen Buchs, an der Grenze zu Österreich, spielt sich derzeit die immergleiche Szene ab: Migranten, bis zu tausend pro Woche, reisen mit dem Zug aus Österreich ein, werden von der Grenzwache kontrolliert und aus dem Zug geholt. Es sind grösstenteils Männer, sie kommen aus Afghanistan, Tunesien, Marokko. Zum Vergleich: vergangenen Winter waren es mit 300 Migranten pro Woche noch dreimal weniger.

Die meisten von ihnen haben in Österreich ein Asylgesuch gestellt, den Bescheid aber nicht abgewartet und reisen über die Schweizer Grenze. Die Schweiz müsste sie gemäss Dublin-Abkommen eigentlich nach Österreich zurückschicken. Doch die Migranten kommen wieder und ziehen weiter, überwiegend Richtung Frankreich.

Die Behörden in Buchs haben deshalb den Versuch aufgegeben, die Migranten zurück nach Österreich zu schicken. Noch im vergangenen Winter haben sie extra ein Empfangszentrum eingerichtet, um das Rückübernahmeverfahren korrekt abwickeln zu können. Aber: «Wir haben festgestellt, dass der Aufwand und die Kosten in keinem Verhältnis stehen zur Wirkung, die dabei erzielt wurde», sagt Markus Kobler, Chef Zoll Ost beim Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit BAZG.

Teurer Leerlauf

Das Empfangszentrum war also ein teurer Leerlauf und wurde in Absprache mit Kanton und Bund im März aufgegeben. Aktuell schickt die Schweiz keine Gesuche zur Rückübernahme mehr nach Wien – zumindest nicht für die Transitmigranten an der Ostgrenze.

Die Grenzwächter beschränken sich auf eine umfassende Grenzkontrolle. Will heissen: Personen-, Identitäts- und allenfalls Gepäckkontrolle, mit dem Ziel, herauszufinden, «ob die Einreisevoraussetzungen gegeben sind», formuliert es Markus Kobler. Meistens sind sie es nicht. Oft fehlt das nötige Visum. Doch werden die Migranten nicht polizeilich gesucht, dürfen sie gehen.

Reto Kormann, Mediensprecher des Staatssekretariats für Migration SEM, sagt, die Schweiz könne die Migranten aus rechtlichen Gründen nicht festhalten: «Wenn sie nicht anwesend sind, ist es auch nicht sinnvoll, dass wir für diese Personen ein Dublin-Verfahren mit Österreich durchführen.» Florian Schneider, Sprecher der Kantonspolizei St. Gallen, sagt es so: «Einfach nur Papier produzieren, damit es produziert ist, führt zu nichts.»

Einfach nur Papier produzieren, damit es produziert ist, das führt zu nichts.
Autor: Florian Schneider Sprecher Kantonspolizei S. Gallen

Hat die Schweiz resigniert? Hält sie internationale Abkommen nicht mehr ein? Reto Kormann vom SEM widerspricht: «Wir setzen alles daran, das Dublin-Verfahren einzuhalten. Aber der Migrant muss anwesend sein, damit wir dieses Verfahren überhaupt durchführen können».

Kampf gegen Schlepper

Das Dublin-Abkommen steht schon länger unter Druck. Es funktioniert mehr schlecht als recht, die Staaten mit einer EU-Aussengrenze fordern eine fairere Verteilung der Migranten. Es werden Lösungen gesucht – auch die Schweiz beteiligt sich. Vergangene Woche vereinbarte die zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter gemeinsam mit dem österreichischen Innenminister zusätzliche Einsätze gegen Schlepper und grenzüberschreitende Patrouillen im Bahnverkehr.

Was ist das Dublin-Abkommen?

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Das Abkommen gilt für 32 Staaten, namentlich für alle EU-Staaten sowie vier assoziierte Staaten wie die Schweiz. Es regelt die Zuständigkeit der entsprechenden Asylverfahren. Der Staat, in den der Asylbewerber nachweislich zuerst eingereist ist, muss das Asylverfahren durchführen.

Derweil gehen die Kontrollen an der Ostgrenze weiter. Die Arbeit sei intensiv, sagt Markus Kobler, Chef Zoll Ost beim BAZG. «Im Moment bindet die Migration in Buchs einen wesentlichen Anteil meiner verfügbaren Ressourcen.» Man sei gefordert, aber nicht überfordert. Und schon fährt der nächste Zug aus Österreich ein.

Rendez-vous, 03.10.2022, 12:30 Uhr ; 

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