Ylfete Fanaj ist die Frau der Stunde. Sie kann nicht mehr unerkannt durch die Stadt Luzern spazieren. Am Sonntagabend zum Beispiel habe ein Taxifahrer neben ihr angehalten und sie angesprochen, als sie auf dem Heimweg von der Wahlfeier der SP war. «Er sagte, ich sei doch Frau Fanaj, und er würde mich gerne nachhause fahren. Es hat mich sehr gefreut, es war eine wunderbare Begegnung um Mitternacht.»
Von überall her treffen Gratulationen ein – sogar der Premierminister und die Präsidentin Kosovos haben Fanaj gratuliert. Und auch in der Schweiz findet ihre Wahl grosse Beachtung.
Ich bin mehr als der Migrationshintergrund.
Hamit Zeqiri freut sich über das Resultat, er stammt selber aus dem Kosovo und leitet heute eine Fachstelle in Luzern, die Menschen in Migrationsfragen berät: «Das ist ein tolles Zeichen an viele Migrantinnen und Migranten, die vielleicht gewisse Bedenken gehabt haben, ob sie mit ihrem Namen angenommen werden. In diesem Sinne ist es ein ganz tolles Zeichen.»
Die Stadtluzernerin Fanaj wird in der Öffentlichkeit also häufig als Vorbild und Repräsentantin von Migrantinnen und Migranten gesehen – eine Rolle, die ihr selber allerdings nur bedingt zusagt: «Ich bin mehr als der Migrationshintergrund.» Sie sei künftig das jüngste Mitglied im Regierungsrat, Mutter und Städterin. «Das ist das, was wichtig ist und zählt: dass verschiedene Perspektiven in diese Institutionen hineinkommen.»
Menschen Gehör verschaffen
Die Aufmerksamkeit ist auch auf Fanaj gerichtet, weil sie die SP nach acht Jahren Unterbruch in die Luzerner Regierung zurückbringt. Unter Beobachtung zu stehen, ist sich Fanaj gewohnt. Als sie 9-jährig als Tochter von Saisonniers mit ihrer Familie in die Schweiz kommt, ist sie im Schulhaus das einzige Kind aus dem Balkan.
Heute leben im Kanton Luzern Menschen aus 160 Nationen – das spüre man in der Kantonspolitik allerdings noch zu wenig, findet sie. Das sei damals auch der Grund gewesen, in die Politik einzusteigen. «Mir geht es in der Politik stark darum, Menschen eine Plattform zu bieten, die weniger gehört werden und selber diese Möglichkeit nicht haben. Ich möchte ihre Themen in die Politik einbringen.»
Diesem Motto bleibt sie treu. Sie hat den Verein «Lisa» gegründet, der die Interessen der Sexarbeiterinnen in Luzern vertritt. Als Kantonsrätin hat sie Vorstösse gegen häusliche Gewalt und für mehr Gleichstellung eingereicht.
Opposition war gestern
Fanaj absolviert die klassische politische Ochsentour: Sie politisiert zuerst im Luzerner Stadtparlament, wird 2011 ins Kantonsparlament gewählt, ist vier Jahre lang Fraktionschefin der SP und wird 2020 Präsidentin des Kantonsparlaments – also höchste Luzernerin. Sie politisiert pointiert links, kritisiert die bürgerlichen Parteien teilweise harsch – und muss dafür häufig selber Kritik einstecken.
Als Regierungsrätin muss sie die Rolle der Oppositionspolitikerin nun ablegen. «Die Partei tritt ein bisschen in den Hintergrund. Mir ist es enorm wichtig, dass wir als Kollegium gut zusammenarbeiten und das von aussen auch so wahrgenommen wird.»
Die diplomatische Aussage verrät es: Fanaj scheint den Rollenwechsel von der Parlamentarierin zur Luzerner Regierungsrätin bereits vollzogen zu haben.