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Schweizer Ukraine-Hilfe Hilfswerke: Ukraine-Unterstützung bedroht Hilfe für andere Länder

Entwicklungsorganisationen befürchten, der Ausbau der Hilfen gehe zulasten anderer Länder. Das EDA widerspricht.

Es ist eine Zahl, welche die Hilfswerke aufhorchen liess: 1.5 Milliarden Franken wolle die Schweiz in den Jahren 2025 bis 2028 für die Ukraine-Hilfe reservieren. Zusammen mit den Jahren 2023 und 2024 wären dies 1.8 Milliarden Franken insgesamt. Das kündigte Bundesrat Cassis diese Woche an.

Seit längerem befürchten die Schweizer Entwicklungsorganisationen, dieses Geld werde von der Hilfe für die ärmsten Länder in Asien, Afrika und Osteuropa abgezwackt. Und sehen sich durch die neuen Zahlen bestätigt.

850 Millionen Franken fehlen

Bislang habe der Bund den Entwicklungsorganisationen kommuniziert, dass innerhalb des Budgetrahmens 650 Millionen für die Ukraine reserviert seien. Das sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, der entwicklungspolitischen Dachorganisation der grossen Schweizer Hilfswerke.

Neue Strategie für Entwicklungszusammenarbeit

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Die Bundesverwaltung arbeitet zurzeit die neue Vierjahresstrategie 2025 bis 2028 für die internationale Zusammenarbeit (IZA) aus. Sie soll diesen Sommer präsentiert werden und in die Vernehmlassung gehen. Beteiligt sind sowohl das Aussendepartement EDA als auch das Wirtschaftsdepartement WBF. Umgesetzt wird sie in den Jahren 2025 bis 2028. Für diese Periode ist ein Gesamtbudget von etwas über 10 Milliarden Franken für verschiedene Projekte und Programme in Nordafrika und Naher Osten, Subsahara-Afrika, Asien und Osteuropa geplant. Es soll im Vergleich zur aktuellen Periode einen leichten Ausbau geben – im Umfang von 650 Millionen Franken. Genau diesen Betrag hat der Bundesart jetzt bereits für den Wiederaufbau der Ukraine reserviert.

Für den Zeitraum 2025 bis 2028 fehlten bei einem Totalbetrag von 1.5 Milliarden immer noch 850 Millionen, die finanziert werden müssten, rechnet Missbach vor. «Ich kann nicht nachvollziehen, wieso Bundesrat Cassis sagen kann, anderswo müssten keine Abstriche gemacht werden.»

Entwicklungsländer doppelt bestraft

Es wäre ein verheerender Entscheid, diese 850 Millionen der restlichen Entwicklungszusammenarbeit zu wegzunehmen, warnt Andreas Missbach von Alliance Sud. Das UNO-Welternährungsprogramm brauche mehr Geld, weil es mehr Krisen gebe. Und auch Berufsbildungsprogramme seien gefährdet oder bisherige Erfolge würden zunichtegemacht, sagt Andreas Missbach von Alliance Sud.

Die Entwicklungsländer würden also doppelt bestraft. Viele Länder im Süden leiden nämlich unter den massiv teureren Nahrungsmittelpreisen, hoher Inflation und den gestiegenen Schuldzinsen – ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg. Und bekommen weniger Hilfe vom Westen und möglicherweise auch von der Schweiz.

Cassis dementiert

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Bereits am Donnerstag dementierte Bundesrat Ignazio Cassis gegenüber SRF News, dass der Ausbau der Ukrainehilfe auf Kosten der restlichen Entwicklungshilfe erfolge. «Diese Befürchtungen sind unbegründet», sagte er. Der Ausbau bei der Entwicklungszusammenarbeit von 650 Millionen Franken werde für die Ukraine reserviert. Die totale Summe bleibe gleich für die normalen Programme der Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklung.

Bundesrat will Priorisierung der Ukraine

Auf Nachfrage hin präzisiert die Medienstelle des Aussendepartements, der Bundesrat habe eine Priorisierung beschlossen: «Der Bundesrat hat entschieden, bei der internationalen Zusammenarbeit eine Priorisierung zugunsten der Ukraine vorzunehmen – aber ohne den Rest der Welt aus den Augen zu verlieren.»

Das EDA schreibt weiter, in den Jahren 2025 bis 2028 sollen neu 5 bis 10 Prozent der internationalen Hilfe für die Ukraine reserviert werden. Hat Bundesrat Cassis also nicht die Wahrheit gesagt?

Geld wird frei

Auf eine zweite Nachfrage hin schreibt das EDA: Die Proportionen der Hilfe für die einzelnen Länder sollen gleich bleiben. Es würden nämlich Geldmittel frei mit dem Ausstieg bei der Hilfe für Lateinamerika.

Das stimmt. Die Hilfe in den lateinamerikanischen Ländern wird aktuell fast vollständig eingestellt. Das ist ein bereits älterer Entscheid. Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit war nämlich viele Jahre zu verzettelt. Zu viele Länder, zu viele Themen. Mit dem Ausstieg aus Lateinamerika wollte sich die Schweiz auf weniger Schwerpunktländer konzentrieren. Aber dort jeweils die Hilfe intensivieren.

Neue Schwerpunktbildung ist bedroht

Es kann also gut sein, dass die einzelnen Entwicklungsländer in Afrika und Asien zwar gleich viel Geld erhalten wie bislang, so wie es Cassis verspricht. Aber der strategische Entscheid, dort die Budgets aufzustocken, wird damit zunichtegemacht. Zugunsten der Ukraine.

Die Hilfswerke wehren sich nicht gegen den Ausbau der Ukraine-Hilfe. Diese sei dringend nötig. Aber mit einer Sonderfinanzierung ausserhalb des Budgets der internationalen Zusammenarbeit.

Suche nach weiteren Geldquellen

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Die Hilfswerke begrüssen darum, dass Bundesrat Ignazio Cassis angekündigt hat, weitere Finanzquellen zu suchen für die Ukraine-Hilfe. Im internationalen Vergleich landet die Schweiz nämlich auf den hinteren Rängen bei der Ukraine-Hilfe. Der Druck wird steigen, mehr zu tun. «Ein Prozess soll entstehen, mit einer Gesetzgebung und zusätzlichem Geld. Diese Arbeiten laufen zurzeit,» sagt der Aussenminister gegenüber SRF News.

Eine Arbeitsgruppe in der Bundesverwaltung soll also weitere Finanzquellen finden, um der Ukraine zu helfen. Aber ohne, dass noch stärker auf das Budget der internationalen Zusammenarbeit zurückgegriffen werden muss.

Info3, 16.04.2023, 17:00 Uhr

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