SRF: Was bedeutet die Abwesenheit von Ignazio Cassis und Isabelle Moret für die Kampagne der FDP gegen die Reform der Altersvorsorge?
Claude Longchamp: Ignazio Cassis war Kommissionspräsident der für die Rentenreform zuständigen Sozialkommission. Das brachte ihn in eine schwierige Position. Als Präsident hätte er für die Reform sein müssen, als FDPler war er jedoch dagegen. Da er nun Bundesrat werden will, ist er aber auch auf die Stimmen der CVP angewiesen, die für die Reform sind. Ich denke schon, dass er dadurch gehemmt ist und die Nein-Kampagne der FDP auf eine zurückhaltende Art und Weise führen wird.
Bei Isabelle Moret kann man sagen, dass sie in der Westschweiz sicher eine wichtige Figur gewesen wäre für die Nein-Kampagne – auf nationaler Ebene eher weniger. In der Westschweiz ist die Situation sogar noch ein wenig schwieriger für die Nein-Sager, da die lokale Wirtschaft und die Arbeitsgeber eher für eine Reform sind und Opposition auch von links kommt. Daher ist Moret wohl auch keine Hilfe.
Jetzt muss die FDP dringend eine oder mehrere glaubwürdige Alternativen finden. Glauben Sie, die Partei schafft das?
Während Jahren war die wichtigste sozialpolitische Sprecherin der FDP Christine Egerszegi, die Ständerätin aus dem Aargau. Sie hatte immer eine andere Linie als die Partei, vor allem politisierte sie immer hart gegen sozialpolitische Massnahmen.
Es wird daher schwierig für die FDP. In einer solchen Situation gibt es letztlich nur einen Ausweg: Das Präsidium muss aktiv werden. Nicht nur die Präsidentin, sondern auch die Leute um sie herum, müssen die Positionierung der Partei nun nach aussen verständlich machen.
Man hat den Eindruck, der Lead fehle, das Präsidium fehle. Niemand sei wirklich fähig, zu reagieren.
Ich glaube, die FDP hat gemerkt, dass sie nicht in einer einfachen Situation ist, da sie bei dieser Nein-Kampagne den Lead übernehmen muss. Daraus hat die Partei eine Schlussfolgerung gezogen: Sie muss früh genug beginnen, um es durchziehen zu können. Das haben vor allem die Jungfreisinnigen gemacht und ihr Thema – «die Jungen bezahlen diese Rentenreform» – gesetzt.
Die Partei selber hatte es schwieriger, da der Kampagnenstart eher misslungen ist und auch die Positionierung der Gesamtpartei besser hätte sein können. Das kann aber alles noch kommen. Der Schwerpunkt in einem Abstimmungskampf liegt immer etwa in der dritten und vierten Woche vor der Abstimmung, das heisst, erst in drei Wochen. Und er kann werberisch und argumentativ vorbereitet und personell noch gestärkt werden.
Sie haben gesagt, der Kampagnenstart war misslungen. Was meinen Sie damit?
Die Aussage von Parteipräsidentin Petra Gössi über das Abwandern der erhöhten Rentengelder ins Ausland, war sicher nicht wohlüberlegt und hat zu starken Reaktionen geführt. Sowohl bei den Auslandschweizern, aber auch medial hat es den Eindruck hinterlassen, die FDP sei nicht ganz sattelfest in ihrer Argumentation, wieso sie die Rentenreform ablehnt.
Bis jetzt sind alle ziehmlich stumm geblieben, etwa die SVP oder die Wirtschaft. Steht die FDP alleine da?
Es ist tatsächlich auffällig, dass die Wirtschaft, ob Bauern oder grosse Unternehmen, sich bis jetzt sehr zurückgehalten haben. Das kann sich vielleicht noch ändern. Trotzdem, es ist so, dass die Wirtschaft der Rentenreform als Kompromiss auch zustimmen könnte. Nicht zuletzt, weil jede andere Vorlage ihnen nicht mehr Vorteile bringen würde. Daher kann man sehr wohl sagen, dass der wichtigste Hintergrund für eine bürgerliche Nein-Kampagne, nämlich das Nein der Wirtschaft, mindestens im Moment noch fehlt.
Jetzt ist noch Sommer und viele sind in den Ferien. Was glauben Sie, könnte sich die Situation bis am 20. September noch ändern?
Zweifelsfrei wird sich etwas ändern, die Nein-Kampagne wird noch kommen. Mindestens jene der FDP. In der letzten September-Woche stehen allerdings nicht nur eine, sondern gleich zwei Entscheidungen an – einerseits diese sehr wichtige Vorlage, andererseits die Bundesratswahl. Die FDP ist nun doppelt gefordert, da sie zwei Kampagnen gleichzeitig fahren muss. Mit dem Rücktritt von Didier Burkhalter und den Bundesratswahlen hat die Partei nicht gerechnet. Die Partei und ihre Exponenten müssen nun eine entschiedene Kampagne führen.
Ein schwieriger Moment für die Partei?
Die Bundesratswahl ist mittelfristig das Entscheidende. Der künftige Bundesrat oder die künftige Bundesrätin vertritt die Partei in der unmittelbaren Phase vor den nächsten Wahlen. Die FDP hat nach Jahren des Verlustes auf die Siegerstrasse zurückgefunden, auf Bundes- und auf Kantonsebene. Nun gilt es, die Partei zu stärken, damit mögliche zusätzliche Gewinne realisiert werden können. Deshalb ist die Bundesratsfrage wohl noch entscheidender für die FDP als die Rentenaltersfrage.
Nimmt der Druck auf FDP-Chefin Petra Gössi damit zu?
Ja, der Druck ist ausgesprochen hoch. Nicht zuletzt, weil die FDP sich zu Beginn nicht sicher war, ob sie der Rentenreform nicht doch zustimmen solle. Mit dem Entscheid, das Nein zu vertreten, kommen Profilierungsmöglichkeiten, aber auch Herausforderungen. Denn die Grundstimmung in der Bevölkerung ist im Moment: Die Rentenreform ist nicht die idealste Vorlage, aber ein einigermassen tragbarer Kompromiss.
Das Gespräch führte Simona Cereghetti, RSI.