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Selbstbestimmungs-Initiative Alle gegen die SVP

Die Selbstbestimmungs-Initiative der SVP will Klarheit schaffen: Die Bundesverfassung soll über dem Völkerrecht stehen, damit soll Schweizer Recht dem Völkerrecht vorgehen ausser beim zwingenden Völkerrecht. Punkt. So soll es neu in die Verfassung geschrieben werden.

Diese klare Ansage tönt verlockend und stimmig. Nur ist die Realität leider nicht ganz so einfach, so schwarz-weiss. Die globalisierte Welt, in der die Schweiz sich sehr erfolgreich behauptet, besteht aus Grautönen.

Unzuverlässiger Wirtschaftspartner...

Die Schweiz hat im Verlauf der Zeit freiwillig über 5000 völkerrechtliche Verträge abgeschlossen, alleine 600 im Bereich der Wirtschaft. Die Schweiz macht dies, um als kleines Land international zu bestehen, damit das (Vertrags-)recht gilt und nicht das Recht des Stärkeren.

Verschiedene Wirtschaftsvertreter wiesen heute in der Debatte auf diesen Punkt hin. Die Schweiz würde zum unzuverlässigen Wirtschaftspartner, wenn künftig Staatsverträge nur noch unter einem «Dauervorbehalt» gültig wären, wie es FDP-Nationalrat und Unternehmer Matthias Jauslin formulierte.

...oder kalte «Entmachtung des Volkes»

SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt aus Zürich hatte aber auch einen Punkt, in dem er darauf hinwies, dass das Völkerrecht immer weniger auf Verträgen beruhe, sondern dass Richtlinien und Urteile von internationalen Gerichten wie dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg eine immer stärkere Rolle spielten.

Es stimmt, dass die Mitsprache des Volkes durch das Geflecht von Staatsverträgen ein wenig eingeschränkt wird. Ob das Stimmvolk gerade eine «kalte Entmachtung» erlebt, wie es Vogt formulierte, sei offengelassen.

Selbstbestimmung à tout prix oder Pragmatismus?

Das Volk muss sich also entscheiden, was ihm wichtiger ist: Will es (wie die SVP) dem Schweizer Recht weitgehend den Vorrang geben ohne Rücksicht auf internationale Verpflichtungen und die Menschenrechte oder soll weiterhin das Bundesgericht im Konfliktfall pragmatisch und im Einzelfall auslegen können, welches Recht Vorrang hat?

Wer leidet unter dem Völkerrecht?

Doch was bedeutet dieser Streit um den Vorrang von Landes- und Völkerrecht überhaupt für Leute im Alltag? «Leidet denn jemand wirklich unter diesem Völkerrecht?», fragten SP-Politiker in der Debatte rhetorisch. Ständerat Daniel Jositsch sagte im Ständerat: «Ich kenne niemanden.» Im Nationalrat klang es heute ähnlich.

Fragwürdige Urteile des EGMR

Die Gegner der Selbstbestimmungsinitiative weisen genüsslich darauf hin, dass es vor allem die verschiedenen SVP-Initiativen (Minarett-, Verwahrungs-, Ausschaffungs- und Zuwanderungsinitiative) seien, die zunehmend zum Konflikt zwischen Landes- und Völkerrecht führten.

Damit machen es sich die Gegner wohl ein wenig zu einfach. Tatsächlich gab es in der Vergangenheit Fälle, in denen der EGMR in Strassburg weitgehende, fragwürdige Urteile fällte. Zum Beispiel durfte ein straffälliger Asylbewerber wegen dem Schutz des Familienlebens nicht aus der Schweiz ausgewiesen werden.

Das Thema bewegt links und rechts

Will man wegen solcher Urteile den gesamten Schutz der Menschenrechte durch den EGMR in Strassburg in Frage stellen? Genau das könnte nämlich passieren, wenn die Selbstbestimmungs-Initiative angenommen würde. Unklar ist, ob dann die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kündigen müsste oder ob sie Urteile aus Strassburg nicht mehr akzeptieren könnte.

Für alle Parteien ausser der SVP ist diese Initiative ein zu radikales Experiment. Darum lehnen sie diese alle klar ab. Das Muster in der Debatte heute Morgen war klar: alle gegen die SVP. Trotzdem zeigt die Rednerliste von 83 Nationalrätinnen und Nationalräten: Das Thema ist nicht schwarz-weiss sondern hat Grautöne und bewegt. Von links bis rechts.

Christoph Nufer

Leiter Bundeshausredaktion, SRF

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Christoph Nufer ist seit 2016 Leiter der Bundeshausredaktion des Schweizer Fernsehens SRF. Davor war er als EU-Korrespondent in Brüssel stationiert.

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