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Service-Citoyen-Initiative Ist ein obligatorischer Gemeinschaftsdienst legal?

Die Initiative fordert einen obligatorischen Bürgerdienst zugunsten der Allgemeinheit und Umwelt. Das internationale Recht verbietet den Staaten, ihre Bürgerinnen und Bürger zu einem Zwangsdienst aufzubieten.

Ein Staat darf nicht alles. Er kann nicht einfach so auf die Arbeitskraft seiner Bürgerinnen und Bürger zurückgreifen. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sagt klar: «Niemand darf gezwungen werden, Zwangs‑ oder Pflichtarbeit zu verrichten.»

Die EMRK ist nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt worden – als Antwort auf die Zeit des Nationalsozialismus, erklärt der Staatsrechtler Reto Müller. Die Idee: «Die Menschen sind keine Objekte und sie dürfen grundsätzlich nicht zu einer unfreiwilligen Arbeit gezwungen werden.»

Dienstarten im «Service Citoyen»

Es gibt aber Ausnahmen vom Zwangsarbeitsverbot: für Militärdienst, zivilen Ersatzdienst, Zivilschutz und Feuerwehr. Auch für Strafgefangene sind Arbeitspflichten zulässig, und es können sogenannte «übliche Bürgerpflichten» bestehen.

Ausnahmen fürs Militär

Der Gedanke hinter den Ausnahmen sei, der Staat solle seine eigene Existenz sichern können, insbesondere in einer Kriegssituation oder bei Katastrophen und schweren Notlagen, sagt Staatsrechtler Reto Müller.

Die Initiative will aber mehr. Der zukünftige Bürgerdienst soll nicht nur die Dienstpflicht in der Armee, Zivildienst und Zivilschutz umfassen, sondern auch weitere Aufgaben zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt. Die Initiative habe ein breites Sicherheitsverständnis, sagt Noémie Roten vom Initiativkomitee.

Staatsrechtler und Hochschuldozent Reto Müller
Legende: Reto Müller ist Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Lehrbeauftragter an der Universität Basel für Sicherheits- und Polizeirecht. Er ist skeptisch, dass sich ein allgemeiner Bürgerdienst mit dem Zwangsarbeitsverbot im internationalen Recht vereinbaren lässt. ZVG

Die heute militärisch orientierte Dienstpflicht solle durch ein System mit mehr Wahlfreiheit abgelöst werden. Das könne nicht gegen die Menschenrechte verstossen, ist Roten überzeugt. «Wir erweitern die Angebotspalette, in welchen Bereichen Dienst geleistet werden kann.»

Das Ziel sei ein Gemeinschaftsdienst, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Milizsystem stärke. Die Pflege von Angehörigen gehöre beispielsweise dazu, steht im Manifest der Initiative, oder auch die Integration von Ausländern, Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder der Schutz der Umwelt.

Eine Initiantin und zwei Initianten halten die Unterschriften aus dem Kanton Zürich in Händen.
Legende: Die Initiantinnen und Initianten haben am 26. Oktober 2023 über 100'000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Sie hoffen, eine Debatte über das zukünftige Dienstpflichtmodell auszulösen. Keystone/Peter Klaunzer

Für Staatsrechtler Reto Müller «geht der ‹Service Citoyen› über die anerkannten Ausnahmen des Zwangsarbeitsverbotes hinaus». Der geforderte Bürgerdienst der Initianten gelte allgemein und solle auf verschiedene Arten erfüllt werden können.

Bundesamt für Justiz sieht Konflikt mit Völkerrecht

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Auszug aus der Stellungnahme des Bundesamts für Justiz
Legende: Stellungnahme des Bundesamts für Justiz Im Jahr 2016 nahm das Bundesamt für Justiz Stellung zum sogenannten Bericht «Loepfe». SRF

Verschiedene Bundesstellen äusserten sich bereits früher kritisch gegenüber einem obligatorischen Gemeinschaftsdienst. So prüfte 2016 eine Studiengruppe unter der Führung von Alt-Nationalrat Arthur Loepfe (CVP/AI) im Auftrag des VBS verschiedene Dienstpflichtsysteme.

Im Rahmen der Ämterkonsultation hielt das Bundesamt für Justiz (BJ) damals fest, bei allen Gemeinschaftsdiensten stelle sich die Frage nach der Kompatibilität mit dem Zwangsarbeitsverbot.

«In der Tat steht eine derart weitreichende Dienstpflicht im Sozialbereich und Gesundheitswesen im Konflikt mit dem Verbot der Zwangsarbeit.»

SRF News hat die Stellungnahmen des Bundesamtes für Justiz von 2016 mithilfe des Öffentlichkeitsgesetzes einsehen können.

Das Bundesamt für Justiz bestätigt auf Anfrage, diese juristische Einschätzung gelte heute noch. Konkret zur Initiative wollte es sich nicht äussern.

Noémie Roten vom Initiativkomitee widerspricht. Ein Bürgerinnen- und Bürgerdienst profitiere nämlich von einer weiteren Ausnahme, von den sogenannten «üblichen Bürgerpflichten». Die Schweiz kenne bereits heute ein ausgeprägtes Milizsystem. Darum falle ein zukünftiger Bürgerdienst unter die Ausnahme des Zwangsarbeitsverbotes, sagt Roten.  

Anderer Meinung bezüglich den «üblichen Bürgerpflichten» ist Staatsrechtler Reto Müller. Gemäss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hängten die üblichen Bürgerpflichten mit Berufspflichten zusammen, sagt der Jurist. Zum Beispiel müssten Anwälte auch Pflichtverteidigungen übernehmen. Oder Ärztinnen leisteten Notfalldienste.

Abweichende juristische Stimme

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Viele Juristinnen und Juristen sind überzeugt, dass sich ein obligatorischer Gemeinschaftsdienst schwerlich mit dem Völkerrecht vereinbaren lässt. Es gibt aber vereinzelt abweichende Stimmen. So ist der Freiburger Staatsrechtsprofessor Bernhard Waldmann überzeugt, die Initiative lasse sich völkerrechtskonform umsetzen; indem man die Wahlfreiheit zwischen den Diensten zulässt. Das schrieb er 2020 in einem Gutachten . Jede Generation solle die Möglichkeit bekommen, neu zu bestimmen, was Zwangsarbeit sei und was nicht, kommt Waldmann zum Schluss.

Kommt die Initiative zur Abstimmung und wird sie angenommen, dann muss das Parlament versuchen, die Initiative völkerrechtskonform umzusetzen. Das könnte dereinst für Frust und Enttäuschung sorgen bei den Initiantinnen und Initianten.

Rendez-vous, 06.11.2023, 12:30 Uhr

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