Aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage hat der Bundesrat eine «Sicherheitspolitische Strategie 2026» mit drei Stossrichtungen erarbeitet. So soll die gesamtgesellschaftliche Resilienz gestärkt werden, der Schutz und die Abwehr vor Risiken verbessert und die Verteidigungsfähigkeit der Armee erhöht werden.
Was ist das Augenfälligste am Bericht?
Es ist eine Strategie mit starker ziviler Komponente. Sie geht von einem breiten Sicherheitsbegriff aus. Die Strategie selbst spricht von «umfassender Sicherheit». Das ist eine Anlehnung an skandinavische Konzepte, die von «total defence» sprechen. In Deutschland heisst es «integrierte Sicherheit». Ein modernes Konzept, das zivile und militärische Instrumente kombiniert.
Will der Bundesrat so die zivilen Instrumente stärken – gar auf Kosten der Armee?
Nein. Die Strategie weist den einzelnen sicherheitspolitischen Instrumenten keine Finanzmittel zu. Der Kontext des Berichtes ist aber der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und ein möglicher militärischer Konflikt zwischen der Nato und Russland. Der Bericht geht zwar davon aus, dass ein bewaffneter Angriff auf die Schweiz weiterhin unwahrscheinlich ist. Aber die Schweiz sei bedroht durch hybride Angriffe wie Spionage, Sabotage, Desinformation und Cyberangriffe – alles Bedrohungen unterhalb der Kriegsschwelle.
Für die innere Sicherheit sind primär die Kantone zuständig. Wie sieht deren Rolle aus?
Der Bund sucht bei vielen Massnahmen die Zusammenarbeit mit den Kantonen. Die Strategie klärt aber nicht die Zuständigkeit in einer hybriden Sicherheitslage. Wenn Drohnen über dem Stern von Laufenburg auftauchen, wo europäische Stromnetze zusammenlaufen – wer ist dann für die Abwehr zuständig? Eigentlich der betroffene Kanton. Diesem fehlen aber Mittel und Know-how. Die Gefahr ist, dass das Land institutionell und staatspolitisch nicht vorbereitet ist auf die hybride Bedrohungslage. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Bundesrat neu definieren will, was als kriegerischer Angriff auf die Schweiz gelten soll.
Was ist denn «Krieg» für die Schweiz?
Der Strategiebericht verweist auf den Sicherheitspolitischen Bericht 2016, der letztmals diese Frage aufgeworfen hat. Damals orientierte man sich noch an einer völkerrechtlichen Definition. Inzwischen sei die starre Unterscheidung zwischen Frieden und Krieg nicht mehr gegeben, heisst es nun. Es sei ein politischer Entscheid, ob sich die Schweiz angegriffen beurteile. Der Bericht macht ein Beispiel: Wenn Nachbarstaaten vom selben Akteur bewaffnet angegriffen würden, der auch die Schweiz hybrid angreife, dann könne dies als bewaffneter Angriff auf die Schweiz gelten. Diese Aussage hat Zündstoff – für die Neutralität.
Wie äussert sich die Strategie zur Neutralität?
Wenn dieses Szenario dereinst mal eintrifft – Russland greift militärisch die Nato an, während die Schweiz gleichzeitig unter schweren Cyberangriffen durch Russland leidet –, dann könnte sich die Schweiz anderen Ländern anschliessen, um sich gegen Russland militärisch zu verteidigen, ohne dass direkte militärische Angriffe auf das Schweizer Territorium stattgefunden haben. Für die Vertreter des traditionellen Neutralitätsverständnisses gibt es zwar den Satz, dass sich die Schweiz so lange wie möglich selbst verteidigen solle. Aber das Gesamtbild der Strategie ist eindeutig – sie ist eine eigentliche umfassende Öffnungsstrategie in allen sicherheitspolitischen Fragen, auch bei der Armee.