Ein «Übervater» der Schweizer Sozialdemokratie ist tot. Der langjährige SP-Parteipräsident Helmut Hubacher starb 94-jährig. Ex-Baz-Chefredaktor Markus Somm kommt von der politischen Gegenseite und kannte Hubacher gut. Er engagierte den «Linken» vor Jahren als Kolumnisten für die Basler Zeitung (Baz). Einer Meinung waren sie in ihren Artikeln selten, ebenso deutlich wie bekannt war aber auch ihre gegenseitige Wertschätzung.
SRF News: Was bleibt Ihnen von Helmut Hubacher in Erinnerung?
Markus Somm: Ich wusste seit längerem, dass Hubacher ernsthaft krank ist. Er gab im Sommer seine Kolumne auf und so jemand wie er hört nur auf, sich politisch zu äussern, wenn es ernst ist. Was bleibt, ist mein Bedauern, ihn in den letzten Monaten nicht nochmals getroffen zu haben.
Hubacher hat Sie regelmässig als brillanten Schreiber und als liberalen Geist gelobt – wie würdigen Sie ihn?
Ich habe die Komplimente regelmässig zurückgegeben – mit gutem Grund. Helmut Hubacher war ein unglaublicher mutiger Mann und Politiker. Er war Linker in einer Zeit, als es noch schwierig war, ein Linker zu sein. In einer noch sehr behäbigen und konservativen Schweiz hat er sich nie verbogen und dafür auch viele persönliche Nachteile in Kauf genommen. Hubacher wurde nie Chefredaktor einer grossen Zeitung, er wurde nie Regierungsrat, schon gar nicht Bundesrat. Und trotzdem hat ihn dies, auch im Alter, nicht verbittert.
Hubacher respektierte politisches Geschick auch unabhängig von der Partei.
Was hat Sie verbunden?
Einer Meinung waren wir selten. Aber wir haben uns stark respektiert – gerade auch als eigenständige politische Figuren mit festen Überzeugungen. Hubacher kämpfte damals als «einsamer» Linker, so wie ich heute einen schweren Stand habe, wenn ich wirtschaftsliberale Positionen vertrete oder gegen linken Konformismus anschreibe. Was vielen Linken heute ausserdem abgeht, ist die Fähigkeit zur Diskussion, ohne dabei ständig zu moralisieren. Hubacher respektierte politisches Geschick auch unabhängig von der Partei. Er bewunderte etwa Blochers Gelingen sehr, die SVP zu einer derart erfolgreichen Partei zu machen.
Wie beurteilen Sie denn Hubachers Leistung als aktiver Politiker?
Vielleicht weniger für das Land, aber bestimmt für seine Partei, war seine grösste Leistung wohl die Integration der 68er in die Sozialdemokratie. Er hat es geschafft, die ältere, sehr nach den Arbeitern orientierte und doch eher konservative Generation mit den jungen gesellschaftsradikaleren Kräften zu verbinden. Er war ein irrsinnig guter Parteipräsident mit einem grossen Gespür für Menschen und deren politische Talente. Was er auch immer hatte: einen gesunden linken Patriotismus.
Und seine Niederlagen?
Seine grösste war wohl tatsächlich die Nichtwahl von Liliane Uchtenhagen als Bundesrätin. Hubacher wollte Uchtenhagen unbedingt und verkannte dabei, dass sie nicht mehrheitsfähig war. Das Problem war auf der persönlichen Ebene, kein politisches. Uchtenhagen galt als herablassende Akademikerin. Viele Männer der bürgerlichen Seite vertrugen sie schlicht nicht. Hubacher stiess in dieser Sache auch vielen Genossen vor den Kopf. Als Parteipräsident war er danach zwischenzeitlich angeschlagen und das Verhältnis zu Bundesrat Otto Stich, der anstelle Uchtenhagens gewählt wurde, blieb unterkühlt.
Hubacher war ein wahnsinnig vitaler Mensch.
Dann gab es da noch den Besuch Hubachers in die DDR, der ihm harsche Kritik einbrachte.
Hubacher erzählte mir diesbezüglich nicht ohne zu schmunzeln, dies sei die einzige Sache, für die er auch noch nach all den Jahren angefeindet werde. Hätte er dies damals gewusst, hätte der den Besuch nie gemacht. Aber meiner Einschätzung nach war der Besuch an sich kein wirklicher Skandal. Hubacher und seine Leute traten dem sozialistischen Regime der DDR gegenüber durchaus sehr kritisch auf.
Hubacher beschrieb sich einmal als Fatalisten; er lebe so lange er lebe und er verspüre durchaus eine gewisse Altersradikalität. Haben Sie ihn bei Ihren letzten Begegnungen auch so erlebt?
Das letzte, was ich von ihm gelesen habe, sind Gedanken zu Corona. Hubacher schrieb davon, wie ihm Corona die Zeit nehme. Zeit, noch Dinge zu tun, die er nicht mehr lange tun werden könne. Unwiederbringliche Zeit also. Ein Text, der mich sehr traurig stimmte. Hubacher war ein wahnsinnig vitaler Mensch bis ins hohe Alter. So einer gibt das Leben nicht gerne aus der Hand.
Das Gespräch führte Adrian Ackermann.