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«Story Killers» Schweiz Der «digitale Auftragsmörder» verwischt unliebsame Spuren im Netz

Ob zwielichtige Unternehmer oder verurteilte Kriminelle: Eliminalia löscht ihre Zeitungsartikel. Auch in der Schweiz.

«Wir lassen Ihre Vergangenheit verschwinden und verhelfen Ihnen zu einer neuen Zukunft» – das verspricht Eliminalia auf ihrer Webseite. Die Firma zählt Dutzende Niederlassungen auf der ganzen Welt, drei davon in der Schweiz. Eliminalia ist führend auf dem Markt der Online-Reputation. Offiziell nutzt sie legale Methoden, um Fotos oder negative Kommentare zu löschen. Offiziell sind ihre Kunden Opfer ungerechtfertigter Angriffe im Internet.

Aber die Realität ist eine andere. Das zeigen vertrauliche Dokumente und eine Liste der Kundschaft, die dem Westschweizer Fernsehen RTS und «Forbidden Stories» vorliegen – ein Investigativ-Netzwerk von Journalisten, die die Arbeit von bedrohten oder ermordeten Kolleginnen und Kollegen fortführen. Diese Recherche ist Teil des Enthüllungsprojekts «Story Killers» über die Desinformationsindustrie, realisiert von insgesamt 30 Medienhäusern weltweit, darunter RTS.

Die Kunden sind Menschenhändler oder ehemalige Folterer

Eliminalia zählt mehr als 1500 Kundinnen und Kunden auf der ganzen Welt. Der Preis ihrer Dienstleistungen hängt von der Komplexität der Aufgabe ab. Um den eigenen Namen im Internet reinwaschen zu lassen, bezahlt man von 5000 bis zu mehreren Hunderttausend Schweizer Franken.

Bild einer Website.
Legende: Screenshot der Website von Eliminalia. SRF

Unter den Kunden, die die Spuren ihrer Vergangenheit löschen lassen möchten, befinden sich Hernan Gabriel W., der das Geld mexikanischer Drogenkartelle gewaschen haben soll. Oder Wissam Mohamed N., verurteilt wegen Menschenhandels und Prostitution. Oder Tomas Sanchez P., der seinen Lebensunterhalt mit Immobilienbetrug und Scheinkonkursen bestreitet.

Andere Kunden sind ehemalige chilenische Folterknechte, Waffenhändler und sogar eine Person, die von Interpol gesucht wird. 43 Kundinnen und Kunden hat RTS in der Schweiz identifiziert. Mehrere von ihnen sind italienische Staatsangehörige, die sich im Tessin niedergelassen haben. Sie haben die Namen ihrer mafiösen Geschäfte auslöschen und gegen einen neuen, unbeschmutzten Ruf als Unternehmer eintauschen lassen. Andere Schweizer Kunden sind Steuerflüchtige oder Kryptowährungsbetrüger. Sogar ein Zirkuskünstler ist darunter, der kürzlich wegen unsittlicher Berührung eines Minderjährigen verurteilt worden war.

Diese Firma ist ein digitaler Auftragskiller.
Autor: Sébastien Fanti Anwalt, spezialisiert auf digitales Recht

RTS hat die Ergebnisse dieser Recherche Sébastien Fanti vorgelegt, Experte für digitales Recht. Laut dem Anwalt ist das Recht auf Vergessen abhängig sowohl von der Schwere der Vorfälle als auch davon, wie weit sie zurückliegen. «Eine Jugendsünde soll eine Person nicht ihr ganzes Leben lang im Internet verfolgen dürfen», sagt Fanti. In so einem Fall sei es legitim, die Informationen dazu von einer Webseite oder einer Suchmaschine löschen zu wollen. «Bei Eliminalia geht es aber nicht mehr um das Recht auf Vergessen. Diese Firma verkauft ihre Dienstleistungen an Gauner. Sie verwischt journalistische Recherchen, sie löscht die Wahrheit. Diese Firma ist ein digitaler Auftragskiller.»

Keine Reaktion von Eliminalia

Eliminalia behauptet, jegliche Zeitungsartikel im Internet löschen zu können. Tatsächlich zeigen die vertraulichen Dokumente, dass Artikel von Medien wie «Le Monde» oder «Vice News» gelöscht wurden – aber auch von Schweizer Medien wie thelocal.ch oder «24heures» (Tamedia).

Spuren löschen: Wie funktioniert das?

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Um Spuren im Internet zu verwischen, nutzen die Informatiker verschiedene Methoden. Es gibt die Technik, das Internet mit falschen Informationen zu «fluten» : Dabei posten mehr als 600 falsche Medienseiten lobende Artikel zu den Kundinnen und Kunden von Eliminalia. Diese Fake-Webseiten tragen Namen wie «CNN News Today», «London Uncensored», «Mayday Washington» oder «Taiwan Times». Die falschen Artikel erscheinen dann zuoberst in den Suchresultaten von Google. So findet sich ein Komplize der mexikanischen Mafia etwa in Artikeln wieder, in denen es um Philosophie oder American Football geht. Die echten Zeitungsartikel über ihn wurden ans Ende der Suchresultate gespült.

Eliminalia nutzt auch die Technik des Streichens aus dem Suchindex : Die Firma missbraucht dabei das Urheberrechts-System von Google, Twitter oder Facebook. Sie erstellt Klone von negativen Artikeln über ihre Kunden und ändert das Datum des Artikels. Dann macht sie eine Urheberrechtsverletzung geltend. So werden die echten Artikel aus dem Suchindex entfernt und damit unsichtbar.

Zudem soll Eliminalia auf Hacker zurückgreifen. Diese eliminieren die spezifischen Artikel an der Wurzel. Dies bestätigt eine Quelle aus dem spanischen Geheimdienst. RTS konnte jedoch keinen Beweis dafür finden, dass ein grosses europäisches Medienhaus Opfer einer solchen Attacke geworden sein sollte.

«Forbidden Stories» und RTS sind in den vergangenen Wochen auf Eliminalia zugegangen für eine Reaktion. Das Unternehmen hat jedoch nicht reagiert. Einige Tage später erhielt RTS Post eines französischen Anwaltsbüros, das mit einer Strafverfolgung drohte.

Während dieser Zeit hat die Firma in manchen Ländern ihren Namen gewechselt. An der Tür des Büros in Barcelona, das zuvor Eliminalia beherbergte, steht heute «Idata Protection». Die Unterlagen bestätigen den Wechsel des Markennamens. Der Gründer von Eliminalia mit dem Nachnamen Sanchez ist unauffindbar.

Ein Formular bei Google zur Entfernung von Suchmaschinenresultaten
Legende: IMAGO / photothek

Dieser reiche Geschäftsmann selber war zuvor im Leihmutterschafts-Business aktiv. Ein Geschäftsfeld, das für negative Schlagzeilen gesorgt hatte. Dennoch ist es schwierig, Spuren seiner Aktivitäten zu finden – vermutlich hat er selbst auf die Dienste seiner Firma zurückgegriffen, um seine Vergangenheit zu reinigen und seine Reputation neu aufzubauen. So bleiben vom Patron von Eliminalia nur lobende Artikel übrig, sowie Videos von ihm, die aussehen wie Werbespots.

Die gesamte Recherche wurde am Sonntag, 19.02.2023 in der Sendung «Mise au Point» ausgestrahlt.

(übersetzt von Felicie Notter)

SRF 4 News aktuell, 15.02.2023, 9:40 Uhr

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