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Strafen und Schutzmassnahmen Wie geht die Schweiz mit straffälligen Jugendlichen um?

Ein 12-Jähriger wird in Grossbritannien verurteilt, in der Schweiz ist man ab zehn strafmündig. Was erwartet straffällige Jugendliche?

Darum geht es: In Grossbritannien sorgt der Fall eines 12-Jährigen, der an rechtsextremen Ausschreitungen beteiligt war, für Aufsehen. Nun drohen dem Jungen harte Strafen. Das Strafmass soll heute verkündet werden. In der Schweiz liegt das Strafmündigkeitsalter bei zehn Jahren – eine der tiefsten Grenzen in Europa.

Tiefe Strafmündigkeit in der Schweiz: Dass das Strafmündigkeitsalter in der Schweiz so tief ist, hat historische Gründe. Bei Einführung des schweizerischen Strafgesetzbuches 1941 gab es noch kein flächendeckendes Jugendschutzrecht. Die Grenze lag damals gar bei sechs Jahren. Das Strafrecht sollte zumindest einen Rahmen bieten, um auf straffällige Kinder zu reagieren. Jedoch sind nicht nur die Strafmündigkeit tief, sondern auch die Strafmöglichkeiten.

Frau und Kind gehen an einem Blumen- und Ballon-Memorial vorbei.
Legende: Dem 12-Jährigen in Grossbritannien wurde der Prozess gemacht, weil er bei den Ausschreitungen von Rechtsextremen vor rund einem Monat mitgemacht hat. Diese sind nach einer Messerattacke ausgebrochen, bei denen drei Mädchen umgebracht wurden. Reuters/Belinda Jiao (04.08.2024)

Ablauf von Verfahren gegen Jugendliche: Ein Verfahren gegen Kinder und Jugendliche läuft in der Schweiz anders ab als bei Erwachsenen. Es gibt spezialisierte Jugendstrafbehörden. «Jugendanwältinnen und -anwälte übernehmen die Fälle. Sie sind im Prinzip die Staatsanwälte für die Jugendlichen und führen die Verfahren», erklärt Strafrechtsexperte Gian Ege. Er ist Assistenzprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Zürich und forscht zum schweizerischen Jugendstrafrecht. Diese Jugendanwälte können in leichteren Fällen direkt Strafen oder Schutzmassnahmen verhängen. Bei schwereren Vergehen wird das Verfahren an ein Gericht übergeben. Es sind immer auch Sozialarbeitende involviert, die in Beratung mit der Jugendanwaltschaft Strafen und Schutzmassnahmen bestimmen.

Mögliche Strafen: Im Alter von zehn bis 14 Jahren können straffällige Jugendliche nur mit milden Strafen belegt werden. Dazu gehören persönliche Leistungen, wie gemeinnützige Arbeiten, oder ein Verweis. Ab 15 Jahren sind auch Geldstrafen bis 2000 Franken oder Freiheitsstrafen möglich. Für Jugendliche unter 16 Jahren beträgt die Freiheitsstrafe maximal ein Jahr, bei Älteren bis zu vier Jahre, aber nur bei «extrem schweren Delikten».

Person hält Hand vor Gesicht hinter Maschendrahtzaun.
Legende: «Bei den Strafen geht es um eine Reaktion. Strafen sollen zurückblicken und das ausgleichen, was getan werden soll, unter Berücksichtigung aller Umstände – bei den Jugendlichen eben auch des Alters», erklärt Gian Ege. Keystone/CHRISTOF SCHUERPF (Symbolbild/21.09.2022)

Mögliche Schutzmassnahmen: «Schutzmassnahmen dürfen nicht den Charakter einer Strafe haben. Es geht um eine Reaktion auf die Erziehungs- oder Behandlungsbedürftigkeit eines Jugendlichen», sagt Gian Ege. Diese reichen von der Aufsicht und Betreuung durch Sozialarbeitende bis hin zur Unterbringung in geschlossenen Einrichtungen. Es gehe darum, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu rehabilitieren und in die Gesellschaft wiedereinzugliedern.

Strafen versus Resozialisierung

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Person steht in einer Zelle und schaut aus dem Fenster.
Legende: Das Schweizer Jugendstrafsystem kombiniert Strafen und Schutzmassnahmen. Der Fokus liegt auf der Resozialisierung – doch die Debatte über härtere Strafen hält an. Keystone/JEAN-CHRISTOPHE BOTT (15.11.2013)

Ege betont, dass die Forschung zeige, dass lange Haftstrafen bei Jugendlichen wenig zur Verhinderung von Rückfälligkeit beitragen. Das Ziel des Jugendstrafrechts sei es, präventiv zu wirken und den Jugendlichen zu helfen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. «Man muss darauf eingehen, was die spezifischen Defizite sind, in welchen Bereichen er oder sie Unterstützung braucht.» Es gehen auch darum, Alternativen aufzuzeigen, wie etwa durch schulische oder berufliche Ausbildung. «Das schafft Möglichkeiten für ein gesetzgetreues Leben nach dem Massnahmenvollzug.»

Debatte um härtere Strafen: Das Schweizer Jugendstrafrecht steht politisch unter Druck. Kürzlich wurde vom Parlament die Möglichkeit der Verwahrung für jugendliche Mörder beschlossen – eine Entscheidung, die einen Systembruch darstellt, erklärt Ege. «Bislang war die Verwahrung von Jugendlichen undenkbar.» Die Forderungen nach härteren Strafen nehmen zu, doch Ege mahnt zu einem differenzierten Umgang. «Es ist wichtig, evidenzbasiert zu entscheiden, und nicht einfach aufgrund unbegründeter Behauptungen mehr und härtere Strafen und Massnahmen einzuführen», sagt er.

SRF 4 News, 11.09.2024, 18 Uhr ; 

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