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Streit um Atomkraftwerk Pläne eines neuen Reaktors in Fessenheim stossen auf Kritik

Der Bürgermeister von Fessenheim in der Nähe der Schweizer Grenze kündigt an, sich für einen der neuen, in Frankreich geplanten Reaktoren zu bewerben. Damit flammt ein alter, emotionaler Streit erneut auf.

Vor drei Jahren wurde das damals älteste Atomkraftwerk Frankreichs, Fessenheim, stillgelegt. Wegen Sicherheitsproblemen und politischem Druck aus der Schweiz und Deutschland nahm die französische Regierung das AKW nach langem Hin und Her vom Netz.

Ich fordere ein neues AKW, eine neue Generation Reaktor, hier in Fessenheim.
Autor: Claude Brender Bürgermeister von Fessenheim (FR)

Das sei ein grosser Fehler gewesen, ist der Bürgermeister von Fessenheim, Claude Brender überzeugt und geht deshalb in die Offensive: «Ich fordere ein neues AKW, eine neue Generation Reaktor, hier in Fessenheim. Unsere Gemeinde soll ein Produktionsort von Strom bleiben.»

Bürgermeister Claude Brender steht vor dem alten Fessenheim-AKW.
Legende: Bürgermeister Claude Brender erhofft sich mit dem Bau eines neuen AKWS Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. SRF / Sedrik Eichkorn

Brender wehrte sich an vorderster Front gegen die Schliessung des AKWs Fessenheim. Er kämpfte auf der Strasse für die Arbeitsplätze und die Steuereinnahmen. Fessenheim ist aus Brenders Sicht der ideale Standort für ein neues Kernkraftwerk: Die Gemeinde liegt am Rhein, mit dessen Wasser die Reaktoren gekühlt werden könnten und das Strom-Netz sei wegen des alten Werks bereits bestens ausgebaut.

Rudolf Rechsteiner, Alt-Nationalrat der SP und Vizepräsident des trinationalen Atomschutzverbands, ist schockiert über die Idee eines neuen Atomkraftwerks in Fessenheim. Jahrelang bekämpfte er Seite an Seite mit anderen Atomgegnerinnen und -gegnern aus Deutschland und der Schweiz das alte Kernkraftwerk in Fessenheim. «Ich hätte mir einen erneuten Kampf gegen Atomkraft in Fessenheim wirklich gerne erspart», sagt er.

2011: Mit einer Menschenkette protestieren Atomkraft-Gegner vor dem Kraftwerk Fessenheim.
Legende: Atomkraft Gegnerinnen und Gegner forderten jahrzehntelang die Stillegung von Fessenheim. Hier bilden Aktivistinnen und Aktivisten 2011 eine Menschenkette vor dem Kraftwerk in Fessenheim. KEYSTONE / WINFRIED ROTHERMEL

Trotz des Rückbaus des alten Atomkraftwerks in Fessenheim: Frankreich setzt aktuell stark auf Kernenergie - vor allem auf neue und kleinere Werke, die schneller und an abgelegeneren Orten gebaut werden können. Bis ins Jahr 2030 will Frankreich sogenannte «Small Modular Reactors» entwickeln.

SRF-Korrespondentin Mirjam Mathis zu Atomenergie in Frankreich

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Mathis Portrait
Legende: Frankreich-Korrespondentin Mirjam Mathis SRF/Oscar Alessio

Frankreich setzt im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz weiterhin stark auf Atomenergie. Zwei Drittel der gesamten Stromgewinnung stammt aktuell aus Kernkraftwerken.

Ex-Präsident François Hollande wollte den Anteil Atomenergie auf 50 Prozent senken, diese Pläne hat Emmanuel Macron aber nun begraben und investiert massiv in die Atomkraft. Vor wenigen Monaten hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet zur Beschleunigung des Bauverfahrens von neuen Atomanlagen. Geplant ist in einer ersten Phase der Bau von insgesamt sechs neuen EPR2-Druckwasserreaktoren an den Standorten Bugey, Penly und Gravelines, acht weitere könnten später folgen.

Und parallel unterstützt Frankreich die Erforschung und Realisierung von kleinen, modularen Reaktoren mit einer Milliarde Euro. Das Ziel: ab 2035 sollen erste solche Reaktoren in Betrieb genommen werden. An welchen Standorten ist noch unklar.

Diese neue Generation von AKWs soll laut der Atomindustrie und der Atomwissenschaft sicherer sein. «Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei den neuen AKWs zu einem schweren Störfall kommt, liegt fast bei null», sagt Annalisa Manera, Professorin für nukleare Sicherheit an der ETH Zürich.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei den neuen AKWs zu einem schweren Störfall kommt, liegt fast bei null.
Autor: Annalisa Manera Professorin für nukleare Sicherheit, ETH Zürich

China, die USA oder auch Russland interessieren sich stark für diese Technologie – trotz des weiterbestehenden Entsorgungsproblems von Atommüll.

Rudolf Rechsteiner, ist schockiert über die Idee eines neuen Atomkraftwerks in Fessenheim.
Legende: Alt-Nationalrat der SP und Vizepräsident des trinationalen Atomschutzverbands, Rudolf Rechsteiner, ist schockiert über die Idee eines neuen Atomkraftwerks in Fessenheim. SRF / Sedrik Eichkorn

Diese Entwicklung hält Rechsteiner für sehr gefährlich. Er ist bereit, ein zweites Mal zu kämpfen, ein zweites Mal gegen ein Atomkraftwerk in Fessenheim auf die Strasse zu gehen. «Es muss nicht zwingend ein Unfall passieren – auch ein kriegerisches Ereignis oder ein Terroranschlag bergen grosse Risiken», sagt er, «Ich finde es äusserst arrogant zu behaupten, eine so gefährliche Anlage sei sicher.» Der Widerstand um Fessenheim flammt nun, drei Jahre nach der Stilllegung des alten Werks, wieder auf.

Mit dem Szenario eines neuen Atomkraftwerks vor der Haustür steht die Nordwestschweiz nicht allein da. Frankreich plant auch in Bugey, nahe Genf, zwei weitere Reaktoren. Auch dort regt sich bereits Widerstand.

Schweiz aktuell, 21.8.2023, 19:00 Uhr ; 

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