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Tag der Pflege «Man unterschätzt, wie viele Pflegende Depressionen haben»

Eine Untersuchung des Unispitals Zürich zum Gesundheitszustand des Gesundheitspersonals unterstreicht den Eindruck, wonach die Arbeitnehmenden im Gesundheitssektor besonders belastet sind.

Tobias Spiller

Forscher am Unispital Zürich

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Dr. med. Tobias R. Spiller ist Postdoktorand an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik UZH.

SRF: Herr Spiller, was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus Ihrer Umfrage?

Tobias Spiller: 26 % des Gesundheitspersonals haben klinisch relevante Symptome für Angsterkrankungen, das heisst, sie sollten das eigentlich ärztlich abklären lassen. 20 % zeigen Symptome einer Depression. Und 14 % der 1400 befragten Personen zeigen Symptome, die von Covid-19 oder von einer anderen Infektion der Atemwege herrühren können. Die Angestellten fühlen sich aber gut unterstützt von den arbeitgebenden Heimen und Spitälern.

Wir haben die Fragen nicht einfach erfunden.
Autor: Tobias Spiller

Erschrecken Sie die Resultate?

Man unterschätzt wohl, wie viele Leute auch im Gesundheitsbereich psychische Erkrankungen wie Depressionen haben. Deshalb erschrecken mich die Zahlen nicht im Vergleich zu dem, was man aus unserer Branche schon kennt.

Wie findet man heraus, ob Depressionen beim Gesundheitspersonal während der Corona-Krise zunehmen?

Wir haben keine Vordaten zum Vergleich, das heisst, wir können noch nicht sagen, ob die genannten Erkrankungssymptome in der Krise zunahmen oder nicht. Es fehlen auch Vergleichsdaten zur Gesamtbevölkerung. Im Moment läuft aber bereits die zweite Umfrage und so können wir bald zumindest aussagen, ob sich die Symptome während der Krise verschärfen.

Kann eine Umfrage mit Fragebogen überhaupt belastbare Resultate zeigen?

Wir haben die Fragen nicht einfach erfunden, sondern etablierte Fragebögen eingesetzt, gerade zu den psychischen Erkrankungen. Aber es stimmt, wir können nicht sagen, dass die Erhebung für das Gesundheitspersonal repräsentativ ist.

Je mehr Stunden die Leute arbeiten, desto mehr Burnout haben sie.
Autor: Tobias Spiller

Gibt es unterschiedliche Befunde innerhalb des Personals?

Es gibt Unterschiede ja, aber sie sind komplex. Männer haben weniger Symptome als Frauen, Ärzte weniger als Pflegende. Das entspricht auch den Geschlechterunterschieden, die man aus der Gesamtbevölkerung kennt. Die Unterschiede aber sind nicht sehr gross. Wir haben versucht, das Geschlechterverhältnis und das Berufsbild – mehr Männer sind Ärzte, mehr Frauen Pflegende – herauszurechnen. Dann sieht man bei Frauen etwas mehr Angstsymptome. Viel wichtiger als das Geschlecht ist allerdings, ob man sich vom Arbeitgeber unterstützt fühlt oder nicht.

Und woher rühren die Symptome? Genereller Arbeitsstress? Die medizinische Herausforderung, den Todkranken zu helfen?

Wir haben das in unserer Studie nicht im Detail untersucht, sehen aber: Je länger – mehr Stunden – die Leute arbeiten, desto mehr Burnout haben sie. Und wir sehen, dass Angestellte auf der Covid-Station mehr Symptome wie Angst, Depression oder Burnout zeigen, aber sie arbeiten eben auch länger.

Der Verband des Pflegepersonals fordert bessere Arbeitsbedingungen. Jede zweite Pflegende verlässt den Beruf. Bestätigt Ihre Erhebung die Misere?

Ich bin selber Arzt und nicht von der Pflege, unsere Forschungsgruppe aber besteht auch aus Pflegewissenschaftlerinnen und Psychologinnen. Aus der mir bekannten Forschung kann ich ihnen sagen, dass die psychische Belastung bei Pflegenden generell dazu beiträgt, dass viele den Job verlassen. Auch die Wertschätzung der Patienten und der Bevölkerung ist wichtig. Und ja, auch die Arbeitsbelastung und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind anerkannte Probleme im Pflegeberuf. Hier ist das Verständnis der Arbeitgebenden Spitäler und Heime enorm wichtig.

Das Gespräch führte Michael Perricone.

Die Untersuchung

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Die jetzt als Preprint veröffentlichte Studie basiert auf einer Umfrage unter Schweizer Gesundheitspersonal von Anfang April 2020. Sie wird verantwortet vom Universitätsspital Zürich. Tobias R. Spiller ist Postdoktorand an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik UZH.

Tagesschau 12.5.2020, 19:30 Uhr ; 

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