Bahnhof Luzern, früher Vormittag: Unzählige Menschen schieben grosse Rollkoffer neben sich her. Sie reisen zu zweit oder als Familien durch die Schweiz. Ihr nächstes Ziel: Interlaken. Mit der Zentralbahn fahren sie dafür über den Brünig – und mit ihnen im Schnitt 1.7 Koffer, so hat es die Bahn ausgerechnet.
Der Individualtourismus habe zugenommen, sagt Thomas Keiser, Mediensprecher der Zentralbahn. «Vor Corona gab es viele Gruppengäste. Da wurde das Gepäck mit dem Car transportiert.» Jetzt kommen die Gäste aus Indien, Malaysia oder den USA auf eigene Faust und steigen mit schwerem Gepäck in den Zug.
Dieses Gepäck kann zu einem Sicherheitsrisiko werden. Falsch verstaut, rollen die Koffer durch den Zug oder versperren Fluchtwege.
Um zusätzlichen Stauraum zu schaffen, verzichtet die Zentralbahn seit neuestem auf einige Sitzplätze. In grossen Plastikwannen, die auf den Sitzen eines Viererabteils liegen, können die Individualreisenden ihre Koffer verstauen.
Bevölkerung stört sich weiterhin
Luzern ist eine der beliebtesten Tourismusdestinationen der Schweiz. 2024 zählte die Stadt rund 1.4 Millionen Übernachtungen, Tendenz steigend. Seit Jahren will Luzern weg vom Car- hin zum Individualtourismus. In der Bevölkerung wurden vermehrt Stimmen laut, die sich am Massentourismus und an den verstopften Strassen in der Altstadt störten. Nun scheint dieses Ziel teilweise erreicht.
Der zunehmende Individualtourismus bringt aber neue Herausforderungen mit sich. Die Gepäckflut in der Zentralbahn ist nur ein Beispiel dafür. Bereits 2023 nahm die Stadtluzerner Stimmbevölkerung eine Initiative an, die Airbnb-Wohnungen einschränken will, um den Wohnraum für Einheimische zu schützen.
«Die lokale Bevölkerung nimmt beim Individualtourismus andere Probleme wahr als beim Massentourismus», sagt Nicole Stuber. Sie forscht an der Hochschule Luzern zu Tourismus.
Ob sich Einheimische im Alltag störten, sei situativ. «Zieht ein Tourist seinen Koffer am Tag über das Kopfsteinpflaster, ist das kein Problem – nachts hingegen reisst er die Menschen aus dem Schlaf. Das nervt.»
Die zwei Seiten des Tourismus
Egal ob Individual- oder Massentourismus: Probleme gebe es dann, wenn Belastungsgrenzen erreicht würden, sagt Nicole Stuber. Sprich: Die negativen Seiten des Tourismus zeigen sich dann, wenn mehr Menschen einen Ort besuchen wollen, als dieser Kapazitäten hat.
Städte weltweit erproben Lösungen, um den Individualtourismus zu lenken.
In solchen Fällen müsse der Tourismus gelenkt werden. Dies sei bei Gruppenreisen einfacher möglich, da die komplette Reise für alle im Voraus gebucht werde.
Durch gezielte Strategien liessen sich aber auch individuell Reisende gut lenken, so die Tourismusforscherin. «Städte weltweit erproben momentan Lösungen wie Apps für Reservationen oder alternative Angebote für überlaufene Attraktionen.»
Individualreisende bringen meist mehr Geld.
Geht es hingegen um die positiven Seiten des Tourismus, hätten die Individualreisenden ihre Vorteile: «Sie bleiben in der Tendenz länger und geben meist auch mehr Geld aus», sagt Nicole Stuber.
Diese höhere Wertschöpfung ist mit ein Grund, warum sich die Stadt Luzern um mehr Individualtourismus bemüht. Nun gilt es, die damit einhergehenden Herausforderungen zu meistern.