Die meisten anderen Länder können von einer Arbeitslosenquote, wie sie die Schweiz derzeit hat, nur träumen. Sie beträgt 2.4 Prozent. «Das ist ein guter Wert. Nach unserer Einschätzung ist die Schweiz – bei allen statistischen Unsicherheiten, die auch damit verbunden sind – in einer Vollbeschäftigung», sagt Alexis Bill-Körber. Er ist Ökonom beim Prognoseinstitut BAK Economics.
Vollbeschäftigung bedeutet, dass die Arbeitskräfte in der Schweiz bei Unternehmen begehrt sind. Entsprechend steigen in der Regel die Löhne bei Vollbeschäftigung. Doch das Bundesamt für Statistik hat am Dienstag mitgeteilt, dass die Löhne in den letzten beiden Jahren nur auf dem Papier gestiegen sind. Real hingegen – also nach Abzug der Teuerung – sind die Löhne gesunken.
Für Alexis Bill-Körber ist das kein Widerspruch. Der Mechanismus, dass Löhne bei Vollbeschäftigung steigen, spiele sehr wohl. Aber: «Der spielt möglicherweise nicht jedes Jahr.» Die Löhne werden einmal im Jahr ausgehandelt. «Im letzten Herbst wurde die Lage zunehmend unsicher. Das sind Faktoren, die in einzelnen Jahren diesen Mix etwas durcheinanderwirbeln könnten», so Bill-Körber.
Gutqualifizierte in guter Ausgangslage
Das letzte Mal konnten sich die Gewerkschaften mit ihren Lohnforderungen am Verhandlungstisch also offenbar nicht gut durchsetzen. Längerfristig geht der Ökonom Bill-Körber aber davon aus, dass die Löhne real etwa um ein Prozent pro Jahr steigen werden. Vor allem Gutausgebildete seien bei Lohnverhandlungen derzeit am längeren Hebel.
«Wir haben in der Schweiz natürlich die hochproduktiven Branchen, die stark auf hochqualifizierte, rare Arbeitskräfte angewiesen», erklärt Bill-Körber. Zu nennen sei der Pharmasektor, der ICT-Bereich sowie die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie.
Schlechtqualifizierte haben es trotz Vollbeschäftigung schwer. «Für die einzelnen Personen ist das natürlich nicht schön und sie sind in einer schlechten Position. Aber eben wenn man das auf die Gesamtwirtschaft bezieht, ist dieser Anteil nicht extrem hoch.» Auch wenn es in der Schweiz noch immer Arbeitslose und Schlechtqualifizierte gibt, die zweifellos in einer schwierigen Situation stecken, geht es dem Gros der Schweizer Arbeitskräfte derzeit gut. Und sie können auf bald steigende Reallöhne hoffen.