Im Laden, den Karina Franchuk nahe der ukrainischen Stadt Donezk führte, gab es guten Kaffee. Darauf ist sie heute noch stolz. Von Bedeutung ist das aber nicht mehr: «Jedes Haus in meiner Stadt ist kaputt, auch meines», erzählt Karina Franchuk.
Jedes Haus in meiner Stadt ist kaputt, auch meines.
Was Krieg bedeutet, hatte sie bereits zuvor erfahren. Sie war schwanger und wurde angeschossen, als Russland die Krim annektierte. Das ungeborene Kind wurde nicht getroffen und auch sie sei nach einem Monat im Spital gesund gewesen.
2014 blieb Franchuk in der Urkaine, trotz des Krieges. Als die Sirenen vor einem Jahr erneut heulten und auch Bomben fielen, entschied sie sich aber zur Flucht. «Jetzt ist wirklich Krieg. Ich wollte mit meinen Kindern nicht im Keller sitzen, ich wollte weg.»
Einsteigen, ohne zu wissen, wohin der Bus fährt
Zusammen mit den Söhnen, der Mutter, einer Schwester und deren Kindern sowie zwei Freundinnen verliess sie die Ukraine. Sie seien nach Polen gekommen, hätten dort in ein schmutziges Camp gehen oder einen weiteren Bus besteigen können, erzählt sie. Sie hätten sich für den Bus entschieden, ohne zu wissen, wohin der sie bringen würde. Irgendwann seien sie in Basel ausgeladen worden.
In Basel wurde die Gruppe zuerst in einem Hotel untergebracht. Das sei gut für die Kinder gewesen, denn diese hätten sich beruhigen können. Nach einem Jahr in Frieden habe sie nicht mehr bei jedem lauten Geräusch Angst. «Mein älterer Sohn weint aber noch jeden Tag.»
Während sich der Kleinere im Kindergarten wohlfühlt und Freunde gewinnen konnte, muss sich der Achtjährige ständig mit der Ukraine auseinandersetzen: Er besucht die Schule in Basel und in der Ukraine. Während die Nachbarskinder Freizeit geniessen, büffelt er online mit der Klasse in der Heimat.
Freundinnen, die zurückgegangen sind, erzählen, dass sie wegen der Bomben nur im Keller sitzen.
«Ich habe grosse Angst vor dem Krieg», sagt Franchuk. «Freundinnen, die zurückgegangen sind, erzählen, dass sie wegen der Bomben nur im Keller sitzen.»
Arbeitgeber macht Druck
Auch Uliana Makarenko flüchtete. Den Job an der Uni im ukrainischen Lwiw machte sie weiter – online von der Schweiz aus. Kürzlich hat die Uni ihr Pensum gekürzt: «Ich muss zurückgehen, sonst verliere ich meinen Job.»
Das tat sie dann auch. Die Wohnung in Basel hat sie trotzdem nicht gekündigt; sie will sich den Weg in ein sicheres Land offen halten.
Fluchtdestination war ein Glücksfall
Eine weitere Geflüchtete hatte Glück, obwohl es zuerst gar nicht so schien: Anna Lugovska, die fünf Sprachen, aber kein Deutsch konnte, landete ausgerechnet in der Deutschschweiz. Jetzt lernt sie Deutsch, schliesst an der Uni Basel bald mit dem Doktortitel ab und hat bereits vier Ausstellungen mit ukrainischen Kunstschaffenden organisiert. «Ich hatte Glück, dass ich in der Hauptstadt der Kunst landete!»
«Ich schäme mich»
Mit Gewissensbissen quält sich derweil Olha Martynyuk, die ebenfalls flüchtete. «Ich schäme mich, weil ich keine Soldatin bin.» In der Schweiz finde sie sich gut zurecht, verstehe mittlerweile Schweizerdeutsch und arbeite an der Universität. «Ich habe wieder eine Normalität.»
Gebe es an einem Tag viele Bombenangriffe in der Ukraine, gehe es ihr dennoch schlecht. Aber sie könne sich mittlerweile trotzdem auf die Arbeit konzentrieren: «Ich bin ein Flüchtling, aber ich bin auch eine Person mit Ambitionen im Leben.»