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Unbeliebte Miliztätigkeit «Man muss Aufklärungsarbeit leisten»

Das Milizsystem gehört zur Schweiz. Doch immer mehr Gemeinden bekunden Mühe, Laien dazu zu motivieren, sich einzubringen. Der Politologe Markus Freitag hat an einer Studie übers Milizsystem mitgearbeitet und weiss, wie man die Tätigkeit in einem Milizamt wieder attraktiver machen könnte.

Markus Freitag

Politologe

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Markus Freitag ist Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Bern und ordentlicher Professor für politische Soziologie.

SRF News: Würde unsere Demokratie ohne Milizsystem untergehen?

Markus Freitag: Neben der direkten Demokratie, dem Föderalismus und der Konkordanz ist das Milizsystem ein wesentliches Standbein der Schweizer Beteiligungsdemokratie. Sie ginge nicht unter, aber sie wäre eine andere.

Ist es denn in der Praxis wirklich so wichtig, dass wir dieses System haben oder ist es vor allem wichtig für unsere Identität?

Beides. Es ist zum Beispiel wichtig, um politischen Nachwuchs rekrutieren zu können, um junge Leute politisch sozialisieren zu können. Indem Bürgerinnen und Bürger sich einbringen, können sie aber auch eine Identität zwischen Regierenden und Regierten schaffen. Das äussert sich auch darin, dass in der Schweiz ein relativ grosses Vertrauen in die politischen Institutionen herrscht.

Generell haben wir ein Wehklagen im Milizsystem, weil wir Motivationsdefizite feststellen.

Trotzdem engagieren sich immer weniger Leute. Der Gemeindeverband hat nun einen Ideenwettbewerb lanciert. Ein Vorschlag lautet, dass man ein Milizamt an die Wehrpflicht anrechnen soll. Wäre das eine gute Idee?

Es wäre bestimmt eine, die auch jüngere Bürger anziehen würde. Sie bekämen eine Option, wie sie sich fürs Staatswesen einbringen können.

Ein anderer Vorschlag wären Miliz-Influencer; Figuren, die die vornehmlich jungen Leute motivieren sollen, in die Milizarbeit einzusteigen...

Das habe ich noch nie gehört. Generell haben wir ein Wehklagen im Milizsystem, weil wir Motivationsdefizite feststellen. Das hat mit dem Amt zu tun, das viele Kompetenzen erfordert, das unflexibel daherkommt, mit einem hohen Verpflichtungsgrad und einer Regelmässigkeit. Gleichzeitig ist das Ganze mit einem hohen Erwartungsdruck der Öffentlichkeit verbunden. Man muss bei Jungen wie bei Älteren Aufklärungsarbeit leisten, was sich eigentlich hinter der Milizarbeit versteckt. Dabei könnten Influencer behilflich sein.

Wie wäre es, wenn die Behördentätigkeit steuerlich begünstigt würde?

Das wäre bestimmt auch ein Vorschlag, der bei den Miliztätigen ankäme. Heute gibt es zwei Ansatzpunkte zur Rettung des Milizwesens. Der eine läuft über Gemeindefusionen, so hat man weniger ehrenamtliche Stellen zu besetzen. Und der andere läuft über Entschädigungen. Das Problem dabei ist, dass sie die klassische Milizarbeit verlassen, wenn es nicht mehr ehrenamtlich ist, und dass sie die Tätigkeit in ein Angestelltenverhältnis überführen.

Aber das Geld spielt offenbar eine Rolle...

Ja, aber wie wir herausgefunden haben eher bei den Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten, weniger bei den Parlamentariern auf lokaler Ebene. Und noch weniger bei den vielfältigen Kommissionsmitgliedern. Je höher im politischen System, desto weniger werden Sie Miliztätige antreffen.

Wie kann man das Problem Ihrer Meinung nach lösen?

Es bedarf einer Mischung. Man könnte das Bewerberfeld öffnen, sodass auch Leute ohne das Schweizer Bürgerrecht ein Milizamt übernehmen können. Man könnte vermehrt Schulungen anbieten für Neulinge, damit sie die Angst verlieren. Und man könnte die Miliztätigkeit als Weiterbildung anerkennen, die man auf dem Arbeitsmarkt auch wieder einsetzen kann.

Das Gespräch führte Beat Soltermann.

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