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Kostenüberwälzung bei Demonstrationen grundsätzlich möglich, aber ...
Aus Echo der Zeit vom 28.10.2021. Bild: Keystone
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Unbewilligte Corona-Demos Kosten auf Demonstranten überwälzen – ein Modell für die Schweiz?

Jeden Donnerstag gehen in Bern Kritikerinnen und Kritiker der Corona-Massnahmen auf die Strasse. Die Kundgebungen sind unbewilligt und jedes Mal verlaufen sie ähnlich: Trams und Busse sind blockiert, Passanten fühlen sich bedrängt, Ladenbesitzerinnen haben Polizeigrenadiere vor ihren Türen, Wasserwerfer positionieren sich in den Gassen.

Jede solche Kundgebung verursacht Polizeikosten von bis zu 200'000 Franken. Die Pläne der Stadt Bern, einen Teil der Kosten auf die Demonstranten zu überwälzen, die an den Demos Gewalt angewendet haben, sorgten landesweit für Diskussionen. Benjamin Schindler, Professor für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen, erklärt die Rechtslage – und ob auch andere Kantone dem Beispiel Berns folgen könnten.

Benjamin Schindler

Benjamin Schindler

Professor für öffentliches Recht, Universität St. Gallen

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Benjamin Schindler ist ein schweizerischer Jurist und Rechtsanwalt. Seit 2010 ist er Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen.

SRF News: Laufen auch in anderen Kantonen ähnliche Diskussionen?

Benjamin Schindler: In anderen Kantonen laufen die Diskussionen zum Teil schon länger als in Bern, so etwa in Luzern, Zürich oder Genf. Nach den Kundgebungen in Rapperswil-Jona kam die Diskussion kürzlich auch in St. Gallen an. Unterschiedlichen Meinungen kommen vor allem in Zürich zum Ausdruck – also zwischen der Stadt und dem Kanton. Wie auch in Bern gibt die kantonale Regelung der Stadt die Möglichkeit, diese Kosten zu überwälzen. Letztlich liegt es aber im Ermessen der Stadt selbst, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Im Zürcher Kantonsrat gab es einen Vorstoss, der die Stadt quasi dazu zwingen wollte, dass sie diese Kosten überwälzt. Dieser Vorstoss wurde aber abgelehnt.

Die freie Meinungsäusserung und die Versammlungsfreiheit sind Grundrechte. Darf der Staat hier überhaupt eingreifen und Kosten den Veranstaltern oder Teilnehmenden überwälzen?

Das Bundesgericht hat sich bereits mehrfach grundsätzlich mit dieser Frage befasst. Einerseits im Zusammenhang mit dem Kanton Luzern. Dann aber auch mit der konkreten Regelung im Kanton Bern. Das Bundesgericht sagt: Eine solche Kostenüberwälzung ist grundsätzlich möglich – als Mittel zur Bekämpfung von Gewalt bei Kundgebungen. Wegen der Versammlungsfreiheit setzt das Bundesgericht hier aber ganz klare Grenzen.

,Wenn Einzelne in besonderem Masse Kosten verursachen, dann gibt es legitime Gründe diese Kosten zu überwälzen.
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Dem Bundesgericht ist vor allem wichtig, dass es durch eine allzu unbestimmte Regelung keine abschreckende Wirkung gibt. Daher müssen die Voraussetzungen, unter denen eine solche Kostenüberwälzung möglich ist, klar definiert sein. Zudem muss der Betrag, den man diesen Personen überwälzen kann, auch klar begrenzt und beziffert werden.

Wo liegt die Obergrenze dieses Betrages?

Im Kanton Bern sieht das Polizeigesetz vor, dass pro Person höchstens 10'000 Franken überwälzt werden können. In besonders gravierenden Fällen dürfen es bis zu 30'000 Franken sein. Das Bundesgericht hat diese Begrenzung pro Person als verhältnismässig betrachtet. Wir können also davon ausgehen, dass das etwa der Massstab ist, an dem sich auch andere Kantone zu orientieren haben.

Wie findet man den oder die Schuldigen?

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An unbewilligten Demos ist die Situation zuweilen chaotisch und übersichtlich. Personen besondere Verstösse nachzuweisen und ihnen auch Kosten zu überwälzen, kann sich im Einzelfall schwierig gestalten, wie Schindler erklärt. Das Bundesgericht habe klar festgehalten, dass nur denjenigen Kosten übertragen werden dürfen, die unmittelbar an Gewalt beteiligt oder klar dafür verantwortlich waren. «Es ist natürlich nicht immer ganz einfach, das nachzuweisen.»

Ein weiteres Problem: Viele gewalttätige Kundgebungen werden anonym über die sozialen Medien organisiert. «Auf einen klar identifizierbaren Organisator kann man in solchen Fällen nicht zurückgreifen», sagt der Professor für öffentliches Recht. Entsprechend aufwändig und auch kostspielig könne das Verfahren sein, die Verantwortlichen auszumachen. «Wenn man gleichzeitig bedenkt, dass die Kostenüberwälzung klar begrenzt sein muss, stellt sich unter rein ökonomischen Gesichtspunkten die Frage, ob sich das überhaupt lohnt.»

Ums Geld gehe es bei der Massnahme aber nur bedingt, so Schindler. «Das Bundesgericht hat ganz klar gesagt, dass es primär eine Massnahme zur Bekämpfung der Gewalt an Kundgebungen ist. Die Kostenverlagerung ist also nicht das primäre Ziel hinter solchen Regelungen.»

Ist Polizeiarbeit aber nicht Teil einer Grundversorgung durch die öffentliche Hand und damit kostenlos?

Das stimmt im Grundsatz. Gerade die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im öffentlichen Raum gehört zu diesem Service public, der eigentlich aus allgemeinen Staatsmitteln bestritten werden muss. Wenn nun aber Einzelne in besonderem Masse Kosten verursachen, dann gibt es legitime Gründe, diese Kosten zu überwälzen. Weitgehend unbestritten ist das etwa bei internationalen Konferenzen wie beim WEF oder bei Sportveranstaltungen. Dort gibt es diese Kostenüberwälzung schon länger.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 28.10.2021, 18 Uhr;

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