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Urteil des Bundesgerichts Bezug von Ergänzungsleistungen ist kein Grund für eine Wegweisung

Sozialhilfeabhängigkeit kann zum Entzug der Aufenthaltsbewilligung führen – bei Ergänzungsleistungen ist das anders.

Das Bundesgericht hatte in einem Fall zu urteilen, in dem einem Spanier, der vor seiner Frühpensionierung Sozialhilfe bezog, vom Kanton Appenzell Ausserrhoden die Niederlassungsbewilligung widerrufen wurde, weil er jetzt Ergänzungsleistungen erhält.

IV-Rente, dann Sozialhilfe

Der heute 65-jährige Mann kam vor 30 Jahren in die Schweiz und arbeitete als Hilfsarbeiter auf dem Bau. Wegen eines Rückenleidens bezog er dann über Jahre eine IV-Rente und später 14 Jahre lang Sozialhilfe in der Schweiz.

Im April 2020 widerriefen die Ausserrhoder Behörden jedoch seine Niederlassungsbewilligung und ordnete seine Wegweisung aus der Schweiz an. Die Behörden begründeten dies damit, dass der Spanier jahrelang von der Sozialhilfe abhängig gewesen war.

Seit 2019 sei es grundsätzlich tatsächlich möglich, jemandem die Aufenthaltsbewilligung zu entziehen, wenn sie oder er «dauerhaft und in erheblicher Weise» Sozialhilfe bezieht, wie die Rechtsprofessorin Martina Caroni von der Uni Luzern ausführt. Sie ist auf Migrationsrecht spezialisiert.

Nicht mehr Sozialhilfe – aber Ergänzungsleistungen

Im vorliegenden Fall ging der Spanier rechtlich dagegen vor, dass er die Schweiz verlassen sollte. Seine Begründung: Er sei inzwischen frühpensioniert und nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig.

Jetzt gibt ihm das Bundesgericht recht: Das höchste Gericht hält fest, dass der Bezug von Ergänzungsleistungen nicht gleichzusetzen sei mit dem Bezug von Sozialhilfe.

Gemäss Rechtsprofessorin Caroni bestätigt dieses Urteil die bisherige Gerichtspraxis. Wenn eine Ausländerin oder ein Ausländer also über Jahre von der Sozialhilfe lebt, dürfen ihm die Behörden die Niederlassungsbewilligung entziehen. Wenn jemand aber pensioniert ist oder eine IV-Rente erhält, ist dies nicht zulässig.

Kantone ziehen die Schraube an

Dass Appenzell Ausserrhoden die Niederlassungsbewilligung des Spaniers aufgehoben hat, belege, dass die Kantone ihre Praxis gegenüber Ausländerinnen und Ausländern verschärft hätten, sagt Caroni. «Die kantonalen Behörden nehmen diese Drohmöglichkeit mit dem Widerruf des Aufenthaltsrechts also tatsächlich wahr.»

Diese Praxis führe dazu, dass sich manche Ausländerinnen und Ausländer nicht beim Sozialamt meldeten – aus Angst davor, sie könnten ihre Niederlassungsbewilligung verlieren. Dies habe sich insbesondere während der Corona-Pandemie gezeigt, so Caroni.

Für den Spanier im aktuellen Bundesgerichtsfall ist die Sache gut ausgegangen: Zum Zeitpunkt, als er das kantonale Urteil anfocht, war er nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig. Ausserdem kommt dem Spanier zugute, dass Ergänzungsleistungen anders beurteilt werden als Sozialhilfe. Deshalb darf er in der Schweiz bleiben.

Rendez-vous, 2.2.2023, 12:30 Uhr

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