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Vergütung von Medikamenten Pharmafirmen kritisieren «willkürliche Praxis» des BAG

Das BAG legt fest, welche Medikamente von der Grundversicherung vergütet werden. Bei Pharmafirmen wird Kritik laut.

Bevor ein neues Medikament auf die sogenannte Spezialitätenliste kommt, durchläuft es ein komplexes Regelwerk von Prüfungen. Unter anderem machen die Behörden beim Bundesamt für Gesundheit BAG Preisvergleiche mit dem Ausland und ähnlichen Medikamenten. Am Ende des Prozederes kommt das Medikament vielleicht auf die Liste, mit dem vom BAG berechneten Preis. Und alle drei Jahre überprüft das BAG die ganze Liste und die Preise.

Die Liste und die Preise – beides gibt in der Pharmabranche zu reden, sagt Marcel Plattner, der Präsident der Branchenvereinigung vips: «Unsere Mitglieder können viele Entscheidungen nicht nachvollziehen. Täglich haben wir zwei bis drei Pharmamanager, die sich mit diesbezüglichen Problemen bei uns melden.»

Tabletten
Legende: Die Grundversicherung vergütet alle Medikamente, die vom BAG auf die Spezialitätenliste gesetzt werden. Doch um auf diese Liste zu kommen, müssen Medikamente bestimmte Kriterien erfüllen und zum Beispiel «wirtschaftlich» sein. Doch was das im konkreten Fall bedeutet – darüber lässt sich trefflich streiten. Keystone

Nun hat der Verband vips eine Studie machen lassen, die aufzeigt, wo die Probleme liegen. Durchgeführt hat sie die Universität St. Gallen. Der Fokus liegt auf jenen Firmen, die gegen Entscheidungen des BAG Beschwerde eingelegt haben. Das ist eine Minderheit.

Aber ihre Unzufriedenheit hat einen gemeinsamen Nenner, wie Daria Lenherr-Segmüller von der Universität St. Gallen sagt: «Bei den Befragungen hat sich herauskristallisiert, dass das BAG seine Spielräume aus Sicht der Branche nur zur einseitigen Förderung des Kostendämpfungsziels nutzt – ohne das Versorgungsziel angemessen zu berücksichtigen.»

Zum Teil wurde die Praxis des BAG in der Branchenbefragung als willkürlich bezeichnet.
Autor: Daria Lenherr-Segmüller Universität St. Gallen

In anderen Worten: Die Medikamentenkosten tief zu halten, sei für das BAG wichtiger als die breite Versorgung mit Medikamenten. Darum kämen neuere Medikamente, die teuer seien, entweder gar nicht auf die Liste oder zu einem aus Sicht der Pharmafirma zu tiefen Preis. Wie das BAG zu seinen Entscheidungen komme, sei für die Befragten kaum nachvollziehbar und auch nicht vorhersehbar, sagt Lenherr-Segmüller: «Zum Teil wurde die Praxis des BAG in der Branchenbefragung als willkürlich bezeichnet.»

Marcel Plattner von der Pharmabranche kennt den Vorwurf aus der Praxis: Für Verwirrung sorgten unter anderem die Vergleiche mit anderen Medikamenten, die gemacht werden, um den Preis festzulegen. «Ständige wechselnde Vergleichskörbe, Vergleiche mit veralteten Therapien oder es werden Symptom- mit Heilungstherapien verglichen etc.»

Das BAG ist dafür verantwortlich, dass das Gesundheitssystem und insbesondere die Prämien für die Bevölkerung bezahlbar bleiben. Somit verfolgt das BAG ein anderes Ziel als eine Pharmafirma.
Autor: Jonas Montani Bundesamt für Gesundheit BAG

Das BAG verweist auf seinen Ermessensspielraum: So dürfe es zum Beispiel nach eigenem Gutdünken entscheiden, welche Medikamente es für die Preisvergleiche heranziehe und es begründe seine Wahl. Jonas Montani vom BAG sagt: «Das BAG ist dafür verantwortlich, dass das Gesundheitssystem und insbesondere die Prämien für die Bevölkerung bezahlbar sind. Somit verfolgt das BAG ein anderes Ziel als eine Pharmafirma.»

In Einzelfällen werden Medikamente trotzdem vergütet

Differenzen seien unvermeidbar, sagt Montani. Doch aus Sicht von Marcel Plattner vom Pharmaverband vips geht es den Unternehmen gar nicht darum, möglichst viele Medikamente zu hohen Preisen auf der Liste haben. «Ein Produkt auf der Spezialitätenliste zu haben, sichert noch überhaupt keinen Umsatz. Eine Vielzahl von Produkten auf der Spezialitätenliste sichert aber dem Patienten eine gute Therapievielfalt.»

Und es ermögliche Versorgungssicherheit, so Plattner. Seien die Preise für Medikamente in der Schweiz aber zu tief, würden die Pharmafirmen sie in der Schweiz allenfalls gar nicht anbieten, weil sich der Aufwand nicht rechnet. Steht ein Medikament gar nicht auf der Liste, gibt es zwar die Möglichkeit, dass eine einzelne Krankenkasse es trotzdem vergütet, aber das sind oftmals teure Einzelfallregelungen.

Parteien wollen im Gespräch bleiben

Gemäss dem Krankenkassenverband Santésuisse ist die Spezialitätenliste gerade darum ein mögliches Instrument gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, weil das BAG bei den Preisen mitspricht. Falsch wäre es, wenn das BAG Preise der Pharmafirmen einfach durchwinken würde, schreibt der Verband auf Anfrage.

Danach schaut es nicht aus. Denn sonst gäbe es diese Diskussion zwischen Behörde und Pharmafirmen nicht. Zumindest in einem Punkt sind sich die Parteien einig: Sie wollen im Gespräch bleiben und sich gegenseitig erklären. Der Pharmaverband sieht sich aufgrund seiner Studie mit guten Argumenten ausgerüstet.

Echo der Zeit, 27.01.2022, 18:00 Uhr

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